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Austausch bildet – Dezember 2019

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Das Magazin „Austausch bildet“ des PAD veröffentlicht Beiträge zur Praxis im internationalen Schulaustausch. Schwerpunkt der Dezember-Ausgabe ist das EU-Bildungsprogramm Erasmus+. Sie können das Heft kostenlos im PAD-Webshop bestellen.

Schwerpunkt »Lernen wie

Schwerpunkt »Lernen wie Erasmus« 9 8 austausch bildet erasmus+ schulpartnerschaften Wie Chemie Spaß macht Für viele Schülerinnen und Schüler ist Chemie ein lästiges Pflichtfach. Das wollte Lars Moser von der Hellweg Schule in Bochum ändern. Mit dem Erasmus+ Projekt »Make the chemistry sexy« begeisterte er nicht nur seine Gymnasiasten, sondern erhielt auch die Auszeichnung als »Success Story«. von iris ollech D er 16-jährige Seyit rückt seine Schutzbrille zurecht. Mit konzentriertem Blick rührt er in einem Becherglas eine Kaliumiodidlösung an und nimmt ein zweites Glas mit Wasserstoffperoxid zur Hand. Dann atmet er tief durch und kippt beide Flüssigkeiten zugleich schwungvoll in einen Standzylinder, auf dessen Boden blaues Spülmittel schimmert. »Wusch« eine gelbe, schaumige Substanz schießt als Fontäne in die Höhe und landet als träge Schlange auf dem Experimentiertisch des Chemieraums. »Unsere Elefantenzahnpasta«, erklärt Seyit zufrieden, während seine Mitschülerinnen und Mitschüler applaudieren. Die spektakuläre katalytische Reaktion von Wasserstoffperoxid ist nur ein Experiment aus der reichhaltigen Trickkiste von Lars Moser, mit denen er selbst Chemiemuffel begeistert. »Mein Ziel ist es, den Unterricht lustvoll zu gestalten. Denn nur wenn etwas Spaß macht, interessiert man sich dafür«, erläutert der Lehrer sein Konzept. Er spricht aus Erfahrung, denn als Junge weckte nicht die Schule, sondern der Chemiebaukasten seines Bruders sein Interesse an der Naturwissenschaft. Spannende Experimente statt trockener Theorie das ist seither sein Credo. Lernen mit Leidenschaft Unterstützung fand der 49-Jährige bei seinen Erasmus+ Partnern aus Polen, Spanien, Griechenland und der Türkei, mit denen er 2016 das zweijährige Projekt »Make the chemistry sexy« konzipierte. Gemeinsam wollten sie das Fach von seinem Ruf als dröge Wissenschaft befreien. Dazu ermittelten die Schülerinnen und Schüler in einer Umfrage zunächst, was die Chemie-Skeptiker unter ihnen vermissten, um mit Spaß bei der Sache zu sein. Der 17-jährige Nuri erinnert sich: »Viele von uns fanden das Fach uncool. Deshalb wollten wir versuchen, es durch das Projekt zu ändern. Und die Reisen zu den Partnerschulen haben uns zusätzlich motiviert, bei der AG mitzumachen.« Heraus kam ein wahres Ideen-Potpourri: Knalleffekte im Chemielabor, ein Wettstreit mit selbst gebauten Raketen, ein Theaterstück oder »Chemists reloaded«, bei dem die Gymnasiasten historische Fotos berühmter Naturwissenschaftler nachstellten. So wie die 17-jährige Laura, die in die Rolle von Clara Immerwahr (18701915) schlüpfte, der ersten promovierten deutschen Chemikerin. Zu den professionell gestalteten Postern mit Bildern und Informationen der Forscherinnen und Forscher, die vor dem Chemieraum hängen, sagt Laura: »Auf diese Weise können auch andere Schülerinnen und Schüler etwas über ihre Geschichte erfahren und entwickeln dadurch vielleicht auch Interesse.« Für den 16-jährigen Magnus, der ebenfalls für die Bildergalerie posiert hat, stand der Spaß im Vordergrund: »Es war eben nicht der übliche Lehrplan, sondern vielseitiger Unterricht. Dafür bin ich sogar freiwillig länger geblieben.« Preisgekröntes Projekt Auch Lars Moser hat so manche Überstunde in das Projekt gesteckt: »Weil ich mein Fach mag, weil ich überzeugter Europäer bin und weil die Zusammenarbeit mit den Partnern hervorragend war. Es hat sich gelohnt«, sagt er. Durchaus, denn das Projekt wurde 2018 vom PAD als eine von 16 »Success Stories« ausgezeichnet. Eine wertvolle Anerkennung, findet Mathias Balliet, der Leiter der Hellweg-Schule: »Die Auszeichnung ist nicht nur ein schönes Kompliment für die tolle Arbeit. Sie hebt auch die Reputation unserer Europa-Schule und schlägt sich hoffentlich in den Anmeldezahlen nieder.« Nach Meinung seiner Schülerinnen und Schüler hat Lars Moser ohnehin einen Preis verdient als einer der coolsten Lehrer. Seyit, der auf dem YouTube-Kanal des Projekts neben der »Elefantenzahnpasta« auch giftgrünes Slime und Kunstblut unterhaltsam präsentiert, sagt über den sportlichen Endvierziger: »Normalerweise stellt man sich einen Chemielehrer mit dicken Brillengläsern und sehr alt vor. Herr Moser aber entspricht so gar nicht dem Bild eines Naturwissenschaftlers.« Und Laura ergänzt: »Wenn Lehrer ihr eigenes Fach mögen, bringen sie es auch ihren Schülern näher.« Und dieses Experiment ist Lars Moser mit »Make the chemistry sexy« spürbar gelungen. — Die Autorin ist Journalistin in Bonn. nachgefragt »Ausgetretene Pfade verlassen« Lars Moser unterrichtet unter anderem Chemie und hat an der Hellweg-Schule das Projekt koordiniert. Inwiefern hat das Projekt das Fach Chemie an Ihrer Schule attraktiver gemacht? Durch eine Umfrage haben wir Lehrerinnen und Lehrer Einblick in die Schülerseelen gewonnen. Manches, was ihnen die Chemie madig macht, konnten wir so identifizieren und sofern es die Vorgaben zulassen ändern. Die Arbeitsblätter, die wir entworfen haben, können in der gesamten Sekundarstufe I eingesetzt werden. Chemie wird dadurch zwar nicht einfacher, aber die Materialien wirken nun nicht mehr so trocken. Außerdem werden Spiele in sogenannten Spontanvertretungen eingesetzt, wenn eine Lehrkraft plötzlich verhindert ist. Da sie für alle Klassenstufen geeignet sind, können damit auch jüngeren Schülerinnen und Schülern Vorbehalte oder Ängste genommen werden. War es Ihr Ziel, Schülerinnen und Schüler auch für das Berufsfeld Chemie zu begeistern? Es wäre schön, wenn sich Schülerinnen und Schüler dafür entschieden. Wir hätten gerne Chemie-Leistungskurse hier an der Schule, aber dass sie das dann auch studieren, das wäre zu hochgesteckt. Es muss nicht jeder einen Nobelpreis in Chemie gewinnen. Mir geht es eher darum, dafür zu sensibilisieren, dass Chemie überall im Alltag zu finden ist. Welchen Wert haben die Konzepte und Materialen für interessierte Schulen? Alle Materialien liegen auf der Projekthomepage zum Download bereit. Unser unorthodoxer Zugang zum Fach Chemie bietet Lehrerinnen und Lehrern europaweit die Chance, ausgetretene Unterrichtspfade zu verlassen, um bei Schülerinnen und Schülern Interesse zu wecken, die sie bislang schwer erreicht haben. Wir wollen Lehrkräfte aber auch anregen, sich selbst neue Zugänge zum Fach zu überlegen. Unsere Materialien sollen nur als Beispiel dienen.

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