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Austausch bildet - Dezember 2020

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Das Magazin „Austausch bildet“ des PAD veröffentlicht Beiträge zur Praxis im internationalen Schulaustausch. "Austausch trotzt Corona" lautet das Motto der Dezemberausgabe und zeigt, wie Schulen den Schüleraustausch trotz der Pandemie aufrechterhalten haben. Sie können das Heft kostenlos im PAD-Webshop bestellen. www.kmk-pad.org/shop

internationales

internationales preisträgerprogramm »Mein Deutsch ist besser als mein Cherokee« Als Teilnehmer des Internationalen Preisträgerprogramms vor 20 Jahren schaute Benjamin Frey deutschen Dialektsprechern auf den Mund. Als Sprachwissenschaftler an der University of North Carolina geht er heute den Spuren des Cherokee nach. austausch bildet von martin finkenberger, pad E rhabene Burganlagen vor mittelalterlichem Stadtbild mit mächtigen Wehrtürmen, prunkvollen Fachwerkhäusern und manch düsterer Seitengasse – als Jugendlicher ließ Benjamin Frey seine Fantasie über vergangene Epochen vor allem durch Fantasyromane beflügeln: »Ich hatte wohl eine romantische Ader und habe solche Bücher verschlungen«, erinnert sich der 37-Jährige, der heute als Sprachwissenschaftler an der University of North Carolina in Chapel Hill unter anderem Deutsch unterrichtet. Dass solche historischen Ensembles nicht nur die Kulisse literarischer Traumwelten abgeben, sondern zahlreiche Städte und Kulturräume des europäischen Kontinents prägen, war ihm damals zwar bewusst. Dass er als Jugendlicher aber einmal solche Landschaften selbst erkunden würde, das verdankt er seinen ausgezeichneten Deutschkenntnissen und dem Internationalen Preisträgerprogramm des PAD. Zum Studium der Sprache motiviert hatte ihn sein Vater, ein Arzt. Der lernte Anfang der 1980er-Jahre, als die Familie in Alabama lebte, Christian Strauss kennen, einen jungen Famulanten aus Erlangen. Beide freundeten sich an und blieben nach dessen Rückkehr in Kontakt. »Da ich wusste, dass Freunde meiner Familie in Deutschland leben, hat das meinen Ehrgeiz geweckt«, sagt Benjamin Frey. Ein glücklicher Zufall war zudem, dass ihn das Preisträgerstipendium, für das er sich im Jahr 2000 qualifiziert hatte, nach Lauf an der Pegnitz im Frankenland verschlug. Der historische Stadtkern mit seinen Türmen und Fachwerkhäusern erinnert noch heute an die wirtschaftliche Blüte im Mittelalter, als eine wichtige Handelsstraße zwischen Frankfurt und Prag durch die Stadt führte. Nicht weniger eindrucksvoll war zugleich das nahe gelegene Nürnberg, dessen Kaiserburg zu den bedeutendsten Wehranlagen Europas zählt. Dass die Preisträger bei ihren Stadterkundungen in einem der vielen Traditionslokale auch die für Nürnberg typischen Bratwürste probierten, versteht sich von selbst. »Und natürlich habe ich die Gelegenheit genutzt, Familie Strauss zu besuchen«, sagt Benjamin Frey. 36

Erfahrungen 37 Fotos: Shutterstock/Moving Moment, Sumeto, Pixel-Shot, Sukjanya Deutsche Dialekte Vor allem aber nahmen er und die anderen Preisträgerinnen und Preisträger aus den USA am Unterricht am Albrecht-Dürer-Gymnasium teil und lernten so den Schulalltag in Deutschland kennen. Dass die einzelnen Fächer auf ein akademisches Studium vorbereiten, war für ihn eine der aufschlussreichsten Beobachtungen dabei. Einiges abgewinnen konnte er auch dem Umstand, dass der Unterricht zeitiger am Morgen beginnt, dafür aber früher am Nachmittag endet, sodass mehr Zeit für Hobbys und Freizeitaktivitäten bleibt. Die kamen während seines Besuchs nicht zu kurz: Neben sportlichem Wettstreit und Grillpartys organisierten seine Gastgeber eine Talentshow, bei der er sich als Schlagzeuger ausprobieren konnte. Eine Karriere als Musiker hat sich daran zwar nicht angeschlossen. Umso mehr weckte der Deutschlandbesuch aber sein Interesse an den Eigenheiten von Sprachen und Dialekten. Aus Franken blieb ihm das »rollende R« im Ohr. »Das hat mir ausgesprochen gut gefallen, weil es mich an Jeff Foxworthy erinnert hat, einen bekannten Komiker in den USA, der Dialekte imitiert.« Was er kurz darauf während einer Exkursion in die Hauptstadt von einem waschechten Berliner zu hören bekam, blieb ihm dagegen unverständlich. Einige Jahre später in Tübingen, wo er ein Semester Germanistik und Sprachwissenschaft studierte, konnte er zudem ins Schwäbische eintauchen. Damals fiel ihm auch auf, dass Dialekte hierzulande einen anderen Stellenwert haben. »Ich fand es sehr aufschlussreich, dass viele Deutsche ihren Dialekt nicht als etwas Minderwertiges betrachten, sondern ihn selbstbewusst sprechen und sogar in selbstironischer Weise im Marketing verwenden«, sagt er und erinnert an die damalige Kampagne des Landes Baden-Württemberg, wonach die Menschen dort alles könnten, außer Hochdeutsch. Es überrascht deshalb nicht, dass Benjamin Frey sich in seinen sprachwissenschaftlichen Forschungen erst an der Universität von Wisconsin-Madison und seit 2013 als Assistenzprofessor an der University of North Carolina in Chapel Hill weiter mit diesen Phänomenen beschäftigt hat. Eine besondere Leidenschaft entwickelte er dabei für die Sprachen und Dialekte der indigenen Bevölkerungsgruppen auf dem nordamerikanischen Kontinent, die schon Jahrtausende vor den ersten Eroberern und Siedlern aus Europa dort lebten. Sein Interesse gilt vor allem der Frage, warum diese innerhalb weniger Jahrzehnte verdrängt wurden und weshalb Englisch sich gegen andere Sprachen der Zuwanderer, durchsetzen konnte. In seiner Dissertation verglich er den Prozess des Sprachwechsels bei den einst deutschsprachigen Gemeinden im östlichen Wisconsin mit dem Verschwinden des Cherokee, wie es im westlichen North Carolina gesprochen wurde. Seine daraus entwickelte Theorie zu den Ursachen dieser Sprachverschiebung sollte zugleich Anhaltspunkte liefern, wie sich die Sprache der Cherokee wiederbeleben ließe. Dass ihn dabei vor allem der Kituwah-Dialekt fasziniert, ist auf seine eigenen Wurzeln zurückzuführen. Eine Großmutter nämlich stammt aus dieser Volksgruppe. Doch ihren Dialekt beherrschen heute nur noch einige hundert Menschen. »Unsere Sprache steht vor dem Aussterben«, bedauert Benjamin Frey, was auch darauf zurückzuführen sei, dass sie im öffentlichen Raum lange Zeit als verpönt galt: »Meine Großeltern wurden bestraft, wenn sie Cherokee sprachen. Wohl deshalb haben sie sich gescheut, die Sprache weiterzugeben«, erinnert er sich. >

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