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Austausch bildet – Dezember 2022

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Das Magazin „Austausch bildet“ des PAD veröffentlicht Beiträge zur Praxis im internationalen Schulaustausch. In dieser Ausgabe stehen die deutsch-britischen Beziehungen im Mittelpunkt. Sie können das Heft kostenlos im PAD-Webshop bestellen oder abonnieren. www.kmk-pad.org/shop

Mit ähnlichen Witzen

Mit ähnlichen Witzen über die Menschen dort? Chinesische Großstädter aus Shanghai, Beijing oder Guangzhou zeigen zumindest mitleidige Reaktionen, wenn sie erfahren, wo man arbeitet. Der Dialekt der Nordostchinesen wird im ganzen Land erkannt und gelegentlich spöttisch kommentiert. In Ihrem Deutschunterricht ging es auch um Präpositionen in technischen Zusammenhängen. Wie kam das? Die Vokabeln im Deutschlehrbuch, mit dem ich arbeitete, drehten sich oft um Werkzeuge und Werkbänke. »Lege den Bohrer auf die Schraube«, war ein typischer Satz. Woran das lag, wurde mir schnell klar: In Changchun gibt es ein großes Werk eines Autobauers aus Wolfsburg, um das herum sich zahlreiche Zulieferer angesiedelt haben. Und viele der Schülerinnen und Schüler wollten später in diesen Betrieben arbeiten. Welchen Stellenwert hatte der Deutschunterricht? Es gab nur einige versprengte Schülerinnen und Schüler, die Deutsch lernten. Denen ging es um Grammatik, Grammatik und noch mal Grammatik. Die Schülerinnen und Schüler forderten diesen Unterricht regelrecht ein, weil sie bei den Prüfungen möglichst gut abschneiden wollten, um später an einer guten Universität studieren zu können. Welche Vorstellung über Deutschland konnten Sie durch Ihr Verhalten widerlegen? Das Bild ist stark geprägt von innovativer Technik und Mechanik. Viele Chinesen haben Förderbänder in großen Autofabriken im Kopf und denken, dass hierzulande alles perfekt organisiert ist und immer funktioniert. Diesen Perfektionismus würde ich für mich so nicht in Anspruch nehmen. Meinen Unterricht jedenfalls lasse ich gerne auch mal in eine andere Richtung laufen als vorher geplant. Wie sah der Schulalltag aus? Der Unterricht begann sehr früh. Viele Schülerinnen und Schüler saßen aber oft vorher schon im Klassenzimmer, um sich vorzubereiten. Aus meinem Appartement konnte ich sehen, dass dort manchmal schon um sechs Uhr morgens das Licht anging. Außerdem ging es ungewöhnlich diszipliniert zu. An den Schultoren hingen rote Banner mit gelben Schriftzeichen, auf denen die Jahrgangsbesten belobigt wurden. Das erzeugte einen enormen Druck auf die anderen. Was mich zudem überraschte, waren die Kameras in jedem Klassenraum, die dann von einer Art Kommandozentrale aus beobachtet werden konnten. Ob das zur Kontrolle der Lehrkräfte oder der Schülerinnen und Schüler geschah, blieb mir allerdings bis zum Schluss unklar. In jedem Fall aber trug dies dazu bei, dass heikle Themen nicht angesprochen wurden. austausch bildet Deutschland wird in China oft als Land der Tugenden betrachtet. Haben Ihre Schülerinnen und Schüler Sie als tugendhaften Lehrer wahrgenommen? Sie haben in mir zumindest eine andere Lehrerpersönlichkeit erlebt, weil ich im Gegensatz zu meinen chinesischen Kollegen kein strenges Regiment im Unterricht führen musste und die Schülerinnen und Schüler bei mir keine schlechte Bewertung zu fürchten hatten. Der Unterricht war für sie damit entspannter, zumal ich als Europäer einen »Exotenbonus« hatte. Und weil ich in den Pausen mit ihnen Fußball oder Basketball spielte und auch sonst auf dem Campus lebte, war ich sehr präsent und erfreute mich einer gewissen Beliebtheit. 36

Fremdsprachenassistenzprogramm 37 Ihrer Zeit als Fremdsprachenassistent in China verdanken Sie ein klein wenig die Idee für das Buch »Ein deutsches Klassenzimmer«, oder? Im Rückblick mag das tatsächlich so erscheinen. In Changchun hatte ich immer frei, wenn Prüfungen anstanden. Und weil ich gerne Schülerinnen und Schüler anzapfe, habe ich mir für diese Phasen Tipps für Routen erstellen lassen, was ich als Neuling unbedingt anschauen sollte. Da kamen wunderschöne Ideen zusammen von Einladungen zum traditionellen Moon-Cake-Festival bis hin zur Aufforderung, Taiwan zu besuchen. Nicht alles konnte ich umsetzen. Aber die vielen Vorschläge haben mich bestimmt nicht dümmer gemacht. Wie kam es dann zu der Idee, in einem Sabbatjahr auf Weltreise zu gehen? Eine meiner ersten Aufgaben nach meinem Einstieg als Lehrer bestand darin, eine zehnte Klasse zu übernehmen, deren Schülerinnen und Schüler vorher die Internationale Vorbereitungsklasse absolviert hatten. Das war eine sehr bunte Zusammensetzung. Neben den Geflüchteten aus Afghanistan oder Syrien mit sehr traurigen Biografien saßen Kinder aus nordamerikanischen Familien, deren Eltern in Hamburg arbeiteten. Dazu kamen Schülerinnen und Schüler, die am John-Neumeier-Ballett, eine der Kaderschmieden in Europa, ausgebildet wurden. Das waren hochbegabte Tänzerinnen und Tänzer, die aber gleichzeitig der Schulpflicht unterlagen. Den Ausschlag gab schließlich Raina, die nach den Sommerferien drei Tage zu spät in den Unterricht kam und dies mit ihrer abenteuerlichen Rückreise aus ihrer Heimat Bulgarien begründete. Sie berichtete von Pannen, endlosen Umwegen durch die deutsche Provinz und der Müdigkeit, die sie nach der fast zweitägigen Fahrt erfasst hatte. Ich habe mir zunächst einen Spaß daraus gemacht, Raina zu warnen, dass ich ihre Ausrede selbstverständlich überprüfen würde. »Ja, machen Sie das«, sagte sie und hat mir, als klar wurde, dass ich mich auf dieses Abenteuer einlassen würde, Tipps für wunderschöne Strände mit Sonnenscheingarantie am Schwarzen Meer aufgeschrieben. Nach über 40 Stunden Busfahren war allerdings auch ich zermürbt und kaputt. Ich weiß jetzt: Ihre Fehlzeiten sind unbedingt zu entschuldigen. Im Epilog danken Sie Ihren Schülerinnen und Schülern für das, was Sie von ihnen gelernt haben. Was sehen Sie heute anders? Ich habe großen Respekt davor, welche Anstrengungen einige Schülerinnen und Schüler und ihre Familien auf sich nehmen, um nach Europa und Deutschland zu kommen, weil sie hier auf eine bessere Zukunft hoffen. Damit verbunden ist die Erkenntnis, nicht von oben herab auf andere zu blicken, sondern sich darüber bewusst zu sein, wie privilegiert das eigene Leben ist. Ich verstehe durch meine Schülerinnen und Schüler jedenfalls besser, wie es sich anfühlt, wenn man eine Sprache kaum beherrscht, bei der Anmeldung an einer Schule aber alle möglichen Formulare ausfüllen muss und dabei sprichwörtlich sprachlos ist. Und unter uns: Sind Sie als Lehrer der, wie sie es im Buch ankündigen, »harte Hunde« geworden, der nachdem Sie beim Spanischunterricht auf Kuba selbst einem solchen begegnet sind regelmäßig unangekündigte Tests schreiben lässt? Nein, natürlich nicht, diesen Drill gibt es nicht bei mir. In meinem Unterricht wird das allerdings gelegentlich zur Achillesverse, denn die Schülerinnen und Schüler bekommen schnell heraus, dass ich zwar streng auftreten kann, viele Dinge aber lax handhabe. Es kommt schon mal vor, dass ich die Glossare mit Fachvokabular, die meine Schülerinnen und Schüler in den Internationalen Vorbereitungsklassen anlegen müssen, einige Wochen regelmäßig kontrolliere, bevor das dann einschläft. Als Lehrer verliere ich dann schnell an Schrecken. Zur Person Jan Kammann, Jahrgang 1979, unterrichtet Englisch und Erdkunde am Europa ­ gymnasium Hamm in Hamburg. 2008/09 war er Fremdsprachenassistent an einer Schule in der nordostchinesischen Provinz Changchun.

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