chinese bridge Erfahrungen 27 austausch bildet von iris ollech F ür Ylva Kicherer war die China-Exkursion buchstäblich das große Los. Weil an ihrer Berufsschule, der Gustav-von-Schmoller- Schule in Heilbronn (Baden-Württemberg), das Interesse an der Reise größer war als die Anzahl der Plätze, entschied der Zufall – zugunsten der 23-Jährigen, die eine Ausbildung zur Groß- und Einzelhandelskauffrau absolviert. Von China wusste sie damals noch wenig, doch sie hatte klare Erwartungen: »Mir war es wichtig, mich mit Schülerinnen und Schülern dort auszutauschen. Ich wollte die Kultur kennenlernen und natürlich Sehenswürdigkeiten wie die Große Mauer besuchen.« Im Jahr des Hundes, prophezeit der chinesische Mondkalender, ließen sich beruflich Partnerschaften festigen und Netzwerke vergrößern. 2018 scheint also ein idealer Zeitpunkt für die »Chinese Bridge – Sommercamp in China für Berufsschülerinnen und -schüler aus Deutschland« gewesen zu sein. Dank des gemeinsamen Projekts der Stiftung Mercator, der Zentrale des Konfuzius Instituts (Hanban) und des chinesischen Bildungsministeriums sowie des PAD und der Länder reisten 84 Auszubildende für zwei Wochen nach Peking und Nanjing. Exportschlager duale Ausbildung Brücken bauen ins Reich der Mitte Mehr als 80 junge Erwachsene aus rund 25 Ausbildungsberufen erhielten im vergangenen Herbst die Chance zu einem außergewöhnlichen China-Aufenthalt. Auf ihrer zweiwöchigen Reise besuchten sie Berufsschulen, erlebten die Unterschiede zwischen den Ausbildungssystemen beider Länder und lernten die Kultur kennen. Das Begegnungsprogramm will jungen Leuten berufliche Auslandserfahrungen ermöglichen, ihre Mobilität fördern und interkulturelle Kompetenzen vermitteln. Bevor es losging, erfuhren die Auszubildenden in einem Crashkurs das Wichtigste über die Geschichte und Gebräuche ihres Gastlandes. Wie unterschiedlich die Ausbildungssysteme sind, erlebten sie in Peking beim Besuch des Beijing Vocational College of Transportation (BVCT). An der Berufsschule werden Zugführer, Ingenieure und Mechaniker ausgebildet, an einer komplett nachgebauten U-Bahn-Station auf dem Campus. Der angehende Immobilienkaufmann Tristan O’Brien, der die Berufliche Schule des Kreises Ostholstein in Eutin (Schleswig-Holstein) besucht, erinnert sich: »Das war gewaltig. Die Berufsschüler konnten trainieren, was sie tun müssen, wenn eine Tür klemmt oder bei Feueralarm.« Doch der 20-Jährige gibt zu bedenken: »Ich glaube nicht, dass es ein Vorbild für Deutschland wäre, weil wir ja das duale Ausbildungssystem haben, bei dem man solche praktischen Erfahrungen im Betrieb macht.« Eine solche Verzahnung von Berufsschule und Unternehmen wird in China bislang kaum umgesetzt. Stattdessen setzt die chinesische Wirtschaft überwiegend auf Ausbildungsstätten, die vom Staat getragen werden. Doch weil es China als einer der größten Volkswirtschaften der Welt an gut ausgebildeten Fachkräften mangelt, ist das Interesse an der bewährten Berufsausbildung »Made in Germany« groß. Matthias Flötotto, Leiter des Berufskollegs Werther Brücke in Wuppertal, engagiert sich seit Jahren für die deutsch-chinesische Berufsbildungskooperation und begleitete die Schülergruppe. Er weiß, was seine Partner am deutschen System besonders schätzen: »Ein Pluspunkt ist, dass die jungen Leute, die aus dem dualen System kommen, direkt einsetzbar sind, nicht nur durch ihre Fach-, sondern auch durch ihre soziale Kompetenz.« Die chinesischen Lehrpläne fördern Auswendiglernen mehr als eine kritische Auseinandersetzung mit dem Stoff. Ylva Kicherer erinnert sich an eine Collegevorlesung: »Alles ist sehr geordnet und die Dinge werden erledigt, ohne sie zu hinterfragen. Das war sehr ungewohnt.« Tristan O’Brien fiel das geordnete Treiben auf dem Campus auf, auf dem die deutsche Gruppe in Peking wohnte: »In den Klassenräumen herrschte komplette Stille und keiner hat aufs Handy geschaut. Von dieser Disziplin könnten wir sicher ein bisschen was lernen.« Dass ihre chinesischen Altersgenossen auch ganz cool sein konnten, erlebten die deutschen Gäste bei einer Begegnung in Nanjing. »Sie wollten wissen, in welchen Berufen wir arbeiten, für welchen Sport wir uns interessieren und ob wir in Deutschland viel Party machen«, erzählt Ylva Kicherer. Berufliche Mobilität durch Austausch Dass über sensible Themen wie Demokratie und Menschenrechte nicht offen diskutiert wird, darauf waren die deutschen Auszubildenden vorbereitet. »Wir haben eine Veranstaltung über Social Media besucht, das kam uns zu perfekt vor«, erinnert sich Ylva Kicherer, wohl wissend, dass das Internet im Land kontrolliert wird. Tristan O’Brien resümiert: »Ich glaube, es war eine der Reisen, die mich am meisten für das Thema Internetfreiheit und Unterdrückung sensibilisiert und überhaupt weit nach vorne gebracht haben.« Nach seiner Ausbildung möchte er eine Zeitlang in China arbeiten, um das Land noch besser kennenzulernen. Eine positive Bilanz zieht auch Ylva Kicherer: Neben touristischen Highlights hat sie den Geschmack knuspriger Pekingenten in Erinnerung und spannende Begegnungen. Deshalb hofft sie, dass andere Auszubildende ähnliche Erfahrungen machen können: »Jeder sollte mal eine andere Kultur erleben, um zu schätzen, welche Möglichkeiten wir zu Hause haben, auch in der Arbeitswelt«, sagt sie – eben so, wie ein chinesisches Sprichwort es empfiehlt: »Einmal sehen, ist besser als hundertmal hören.« — Die Autorin ist Journalistin in Bonn. nachgefragt Persönliche Begegnungen weiter vertiefen Matthias Flötotto leitet das Berufskolleg Werther Brücke in Wuppertal und engagiert sich für die deutschchinesische Berufsbildungskooperation. Was wollten Sie den Schülerinnen und Schülern durch die Reise vermitteln? China wird künftig international sicher an Bedeutung gewinnen. Schülerinnen und Schüler sollten das Land deshalb nicht als Gefahr betrachten, sondern sich vielmehr fragen, was wir voneinander lernen können. Durch die persönlichen Begegnungen mit einer anderen Kultur und ihren Menschen soll es den jungen Leuten beider Länder gelingen, respektvoll miteinander umzugehen. Im vergangenen Jahr fand das erste Summercamp für deutsche Auszubildende statt. Was empfehlen Sie für künftige Austauschprojekte dieser Art? Wichtig fände ich es, die persönlichen Begegnungen weiter zu vertiefen, weil die Auszubildenden von diesem Austausch meiner Ansicht nach am meisten profitieren. Empfehlenswert wäre es zudem, wenn es mehr Gelegenheiten zu Betriebsbesichtigungen gäbe. Gerade das interessierte unsere Schülerinnen und Schüler besonders. Welche Erfahrung hat Sie besonders beeindruckt? Für einen meiner Schüler war die Chinatour die erste Auslandsreise überhaupt. Er hatte Deutschland zuvor niemals verlassen. Für ihn war alles neu, ein echter Kulturschock. Doch am Ende der Reise plante er sogar, zusammen mit Freunden eine Asienreise zu unternehmen. Ein anderer Schüler macht eine Ausbildung bei einer Firma, die in China eine Niederlassung hat, und er würde gerne dort arbeiten. Es haben sich also viele Perspektiven eröffnet und wir haben viel erreicht. 26
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