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Austausch bildet - Juni 2022

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Das Magazin „Austausch bildet“ des PAD veröffentlicht Beiträge zur Praxis im internationalen Schulaustausch. "Das mehr im Plus" lautet das Motto der Juniausgabe, die zeigt, welche Möglichkeiten Erasmus+ bietet und welche Erfahrungen Schulen und Kitas mit dem europäischen Austausch sammeln. Sie können das Heft kostenlos im PAD-Webshop bestellen oder abonnieren. www.kmk-pad.org/shop

Der Sprung von der

Der Sprung von der ländlichen Umgebung Schopfheims ins politische Zentrum der damaligen Bundesrepublik war dann aber der wohl größtmögliche Kontrast? Schopfheim liegt im Dreiländereck, wo viele Menschen wie selbstverständlich für Einkäufe, Familienbesuche oder Ausflüge gelegentlich über die Grenze nach Frankreich oder in die Schweiz fahren. Die dörfliche Umgebung hatte in der Tat ihre für mich erstaunlichen Besonderheiten. Einige Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler etwa, die in höheren Lagen wohnten, kamen im Winter gelegentlich mit Skiern zur Schule. Ein anderer Schüler dagegen, dessen Eltern einen Bauernhof hatten, fuhr ab und zu mit dem elterlichen Traktor vor. Bonn dagegen war noch Hauptstadt, wenngleich ohne den Stress, der etwa Paris oder London auszeichnet. Es war ganz normal, dass die Schülerinnen und Schüler und Studierenden sich nach dem Unterricht in den Rheinauen trafen, in Sichtweite der Ministerien. Viele meiner Schülerinnen und Schüler gehörten damals auch Diplomatenfamilien an. austausch bildet Allerdings verspürten die Menschen auch einen gewissen Stolz angesichts der plötzlichen Bedeutung Bonns, nachdem die Einwohner selbst ihre Stadt oft als »Bundeshauptdorf« bezeichnet hatten. Woher rührte Ihr Interesse für Deutschland und Deutsch als Fremdsprache? Es mag sich merkwürdig anhören: Es war der Spaß an einer Sprache und ihrer Grammatik, die mich schon immer fasziniert hat, weil sie auch ein Türöffner für die Welt der Literatur und Philosophie ist. Ich fand es unglaublich, was deutschsprachige Autoren auf diesem Gebiet geleistet hatten, und wollte ihre Werke unbedingt im Original lesen können. Und weil ich zunächst den Plan hatte, Lehrer zu werden, wollte ich natürlich den Alltag und die Menschen aus der Nähe erleben und einige Zeit in dem Land leben. Womit haben Sie versucht, die Schülerinnen und Schüler für Ihre Muttersprache zu begeistern? Meine Aufgabe war es, durch Konversation und aktuelle Materialien aus dem Alltag das Interesse an Französisch, Frankreich und auch der frankofonen Kultur zu stärken. Wie ich das aber machen würde, dazu hatten mir die Lehrkräfte »carte blanche« erteilt. Wir haben deshalb zum Beispiel Auszüge aus Krimis gelesen oder auch Kinofilme angeschaut und besprochen. Eine Unterrichtseinheit über Schimpfwörter in Französisch kam auch immer sehr gut an. Welches Bild über Deutschland und »die Deutschen« mussten Sie nach zwei Jahren als Fremdsprachenassistent korrigieren? Mir fallen vor allem Dinge aus dem Alltagsleben ein, über die ich im Studium wenig erfahren hatte. Welche Bedeutung zum Beispiel das »Abendbrot« im Familienleben spielt, war mir nicht bewusst. Im Gegensatz dazu staunten meine deutschen Freunde immer über die französische Angewohnheit des mehrmaligen »Warm Essens« am Tag, was ihnen sehr umständlich vorkam. Erstaunt hat mich immer auch die Haltung in Stilfragen bei offiziellen Anlässen. Ich erinnere mich an den Auftritt eines Bürgermeisters während meines Jahres in Schopfheim: Als er nach seiner Rede vor das Pult trat, sah ich, dass er zu seinem schicken Anzug Birkenstocksandalen mit Socken trägt – damit hätte ich als Franzose nicht gerechnet. Beeindruckend fand ich aber vor allem das damals schon sehr ausgeprägte Umweltbewusstsein und die öffentliche Debatte über die Gefahren der Atomkraft, die in Frankreich als Lösung zur Energieversorgung der Zukunft galt. Diese andere Sichtweise prägt mich heute immer noch. 40

Fremdsprachenassistenzprogramm 41 Zu Ihren Aufgaben heute als Bildungsattaché der Botschaft gehört es, Französisch als Sprache des Fremdsprachenunterrichts zu fördern. Warum sollten junge Menschen Französisch lernen, wo sie mit Englisch fast überall auf der Welt zurechtkommen? Englisch ist, nicht zuletzt aufgrund seiner Bedeutung in der Populärkultur, zu einer Weltsprache geworden. Dagegen spricht natürlich nichts. Es wäre aber schade, wenn Deutsche und Franzosen sich im gemeinsamen Gespräch einer Sprache bedienen müssten, die keiner von beiden als Muttersprache beherrscht. Die Kenntnis der Sprache des anderen ist immer auch ein erster Schritt für ein tieferes Verständnis, für Kooperation und hoffentlich auch für Freundschaften, die sich daraus entwickeln. Gerade in den Sitzungen der deutsch-französischen Expertengruppen, an denen ich regelmäßig teilnehme, empfinde ich es als wohltuend, wenn alle die Sprache ihres Partners verstehen und sprechen. Und für den Gebrauch im Alltag? Auch mit Französisch kommt man in vielen Gegenden gut zurecht, auf allen fünf Kontinenten. Ganz abgesehen davon: Die reichhaltige französischsprachige Weltliteratur ermöglicht es, sich sehr unterschiedliche Kulturen zu erschließen. Und die Sprache hilft, aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen genauer verfolgen und verstehen zu können. Man denke nur an die Debatten über Postkolonialismus. Ich möchte deshalb dafür werben, dass Kinder frühzeitig Deutsch und Französisch lernen – und damit zugleich ein Fundament für ein modernes Englisch legen, das sich ja bekanntlich auch aus diesen beiden Sprachen speist. Und für die Lehrkräfte? Bei Fortbildungen arbeiten wir mit dem »Institut français« an den 14 Standorten in Deutschland zusammen. Wir unterstützen zudem Initiativen wie den »Prix des lycéens allemands«, der Schülerinnen und Schüler einlädt, aus aktuellen französischen Jugendromanen ihren Favoriten zu küren. Dieses Jahr sind auch Comics ein Schwerpunkt für uns. Comics sind in Frankreich viel stärker ein Objekt der Alltagskultur. Lehrkräfte wissen deshalb nicht immer genau, wie sie Comics sinnvoll im Unterricht einsetzen können. Worauf ich außerdem gerne hinweise, ist unsere Playlist mit aktuellen Musiktiteln, auf die Lehrkräfte im Unterricht zurückgreifen können. Gerade das kommt, so unsere Beobachtung, gut an. Philippe Guilbert, Jahrgang 1968, leitet seit 2019 das Referat für Bildungs- und Sprachkooperation an der Französischen Botschaft Berlin/Institut français Deutschland. Im Schuljahr 1989/90 und 1990/91 war er Fremdsprachenassistent – erst am Theodor-Heuss-Gymnasium in Schopfheim (Baden-Württemberg), dann am Clara-Schumann- Gymnasium in Bonn. Welche Initiativen ergreift die Botschaft dazu? Zu unseren Aufgaben zählen vor allem Gespräche auf politischer Ebene, unter anderem mit den Schulund Kultusministerien, wenn es zum Beispiel um das »Diplôme d’études en langue française« (DELF) geht. Mit diesem Zertifikat können Schülerinnen und Schüler nachweisen, dass sie Französischkenntnisse auf dem Niveau B2 besitzen. In unseren Gesprächen geht es derzeit darum, ob DELF eine reguläre Lernerfolgskontrolle ersetzen könnte. Eine andere Überlegung ist, die Gebühren für die Prüfung zu reduzieren, damit Familien sich leichter dafür entscheiden können.

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