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PAD Jahresbericht 2020/2021

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Der Jahresbericht des Pädagogischen Austauschdienstes (PAD) für die Jahre 2020/2021. Der internationale Austausch im Schulbereich steht in Zeiten von COVID-19 vor erheblichen Herausforderungen. Das zeigt auch der PAD Jahresbericht 2020/21. Allerdings gibt es auch Hofffnungsschimmer: Das EU-Programm Erasmus+ ist 2021 mit mehr Budget in die nächste Runde gestartet, digitale Formate für internationalen Schulaustausch wurden entwickelt und es zeigt sich, dass Schulen und Lehrkräfte nach wie vor großes Interesse an Austausch haben. Der Jahresbericht kann kostenlos bestellt oder online gelesen werden.

Fremdsprachenassistenzprogramm »Eigene Fremdheitserfahrungen schärfen den Blick« 20 Schuluniformen statt Schlabberlook, ungewöhnliche Maßnahmen zur Disziplinierung und vormilitärische Erziehung in Einrichtungen der Armee: Als Fremdsprachenassistent in England fielen Martin Jungwirth markante Unterschiede auf. Von seinen damals gemachten Erfahrungen profitiert er noch heute. Herr Jungwirth, wer hierzulande von »Boyscouts« spricht, denkt an hilfsbereite Kinder und Jugendliche, die auf Zeltlagern und Fahrten die Natur erleben. Als Fremdsprachenassistent haben Sie den Begriff allerdings in einer anderen Bedeutung kennengelernt. Ich war an die Bournemouth Grammar School an der Südküste Englands vermittelt worden, eine traditionsreiche Schule für Jungen, die in den jährlichen Ranglisten zu den Top Ten zählte und regelmäßig Kandidaten für ein Studium in Oxford hervorbrachte. Zum Schulalltag gehörte aber auch eine Art vormilitärischer Erziehung mit »Boyscouts« und »Cadets«. Einmal im Monat trugen die Jungen dann Uniform und Offiziere der Armee kümmerten sich um das Programm, etwa den Besuch einer militärischen Einrichtung. Als ich das das erste Mal erlebt habe, musste ich, offen gesagt, schlucken. In Deutschland kennen wir so was ja nicht. Welche Maßnahmen zur Bestrafung und Disziplinierung haben Sie erlebt? An der Schule gab es abgestufte Formen von »Detentions«, die auch ich aussprechen durfte. Das konnte vorkommen, wenn ich etwa beim Mittagessen an den Lehrertisch eingeteilt war und darauf zu achten hatte, dass die Schüler sich ordentlich benahmen. Ich durfte allerdings nur die niedrigste Stufe einer »Detention« aussprechen, was eine Stunde Nachsitzen bedeutete. Als Höchststrafe galt die »Saturday detention«, bei der die Schüler zum Beispiel den Schulhof fegen mussten. Natürlich waren die Eltern darüber zu informieren, die das meistens peinlich berührte, weil an diesem Tag keine Schulbusse fuhren und sie ihren Jungen dann persönlich abzugeben hatten. Disziplinierung findet oft auch durch die Schuluniformen statt. Wie haben Sie das gesehen? Schuluniformen, damals ein heiß umstrittenes Thema in Deutschland, sorgen zwar für eine gewisse Gleichförmigkeit. Sie schaffen aber auch Zugehörigkeit und ein Stück weit soziale Kontrolle. Anhand der Uniform war ja zu erkennen, aus welcher Schule jemand kam. In Fällen von Fehlverhalten etwa an Bushaltestellen konnten Schüler deshalb mit dem Hinweis ermahnt werden, dass das ihren Lehrern mitgeteilt würde. Ich selbst bin aber nie in solchen Situationen gewesen.

jahresbericht 2020/21 Wie sah die Integration ins Lehrerkollegium aus? Im »Staff-Handbook« wurde ich wie alle anderen Lehrer mit Foto und Lebenslauf vorgestellt. Ich bekam auch einen festen Arbeitsplatz in einem der beiden Lehrerzimmer. Der zweite Raum, den ich wie selbstverständlich nutzen konnte, war dagegen wie ein gemütliches Wohnzimmer: Dort gab es schwere Ledersofas, eine Tea-Station und eine Dame mit Haube, die Kekse reichte und Tee servierte. Das vermittelte schon einen aristokratischen Eindruck. Wie sah generell der Deutschunterricht aus? Eine meiner Aufgaben war es, die Schüler bei ihrer Vorbereitung auf Prüfungen zu unterstützen. Dieses »teaching to the test« fand ich allerdings schrecklich, weil es nicht meinem pädagogischen Verständnis entsprach. Dass es vor allem um den Ruf der Schule ging, die bestmöglichen A-Levels zu erreichen, darüber bin ich gelegentlich auch mit dem Abteilungsleiter für moderne Fremdsprachen aneinandergeraten. Aber natürlich habe ich akzeptiert, dass das hier so ist. Umso eindrucksvoller war die Ausstattung der Schule ... Ich kam mir vor wie im Gelobten Land. Die Schule hatte wunderbare Labore, eine schon damals vorzügliche IT-Ausstattung und eine Bücherei mit eigenen Bibliothekaren und einer großen Auswahl an Medien. Aus meiner eigenen Schulzeit waren mir Bibliotheken als eher verstaubt und wenig frequentiert in Erinnerung. In Bournemouth aber wurde sie von den Kindern und Jugendlichen tatsächlich auch genutzt. Das fand ich ganz toll. Welche eigenen Akzente konnten Sie im Unterricht setzen? Wann immer sich die Gelegenheit bot, habe ich landeskundliche Themen behandelt und versucht, Lokalkolorit aus meiner Heimatstadt Ibbenbüren einzubauen. Damit wollte ich zeigen, dass es neben Berlin, München oder Hamburg auch andere interessante Städte und Regionen gibt und Deutschland mehr zu bieten hat Der Schüleraustausch mit der Partnerschule in Posen oder Porto – kurzfristig abgesagt. Der im Schulkalender fest eingeplante Besuch der Highschool in Minneapolis – ausgefallen. Internationale Begegnungen und interkulturelle Lernerfahrungen blieben vielen Schülerinnen und Schülern im Schuljahr 2020/21 weitgehend verwehrt. Umso erfreulicher war es deshalb, dass trotz Reisebeschränkungen und vorübergehender Schulschließungen rund 600 Studierende vor allem aus Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien und Russland als Fremdsprachenassistenzkräfte an Schulen in Deutschland vermittelt werden konnten – die Europa in den Unterricht gebracht und den Unterricht bereichert haben. Weitere Informationen www.kmk-pad.org/fsa als Lederhose, Schwarzwald und Schnitzel. Es ging mir außerdem darum, dass die Schüler Sprache in authentischen Situationen nutzen können. Das war für mich zugleich eine wichtige Erfahrung als Fremdsprachenassistent: Natürlich müssen Schüler Grammatik und Vokabeln lernen. Aber am Schluss geht es doch darum, in lebenspraktischen Situationen etwas sagen zu können, auch wenn nicht jeder Satz grammatikalisch korrekt ist. Die Debatten- und Diskussionskultur in Großbritannien schaffte dafür gute Voraussetzungen. Studierende, die heute einen Auslandsaufenthalt planen, neigen eher zu kürzeren Programmen. Was spricht aus Ihrer Sicht als Leiter eines Zentrums für Lehrerbildung dafür, sich auf ein ganzes Schuljahr einzulassen? Es ist die Tiefe der Erfahrung. Ein dreimonatiger Aufenthalt ist gut für erste Eindrücke und um Sprachpraxis zu bekommen. Als Fremdsprachenassistent dagegen muss ich mich auf viel mehr einlassen oder es sogar ertragen. Dafür kann ich aber auch stärker in den Alltag eintauchen und Erfahrungen sammeln, von denen ich vielleicht ein Leben lang zehre. Ich persönlich profitiere selbst heute noch davon. 21 Zur Person Dr. Martin Jungwirth, Jahrgang 1974, studierte Anglistik und Politik/Sozialkunde auf Lehramt und ist seit 2012 Geschäftsführer des Zentrums für Lehrerbildung der Universität Münster. 1997/98 war er Fremdsprachenassistent in Bournemouth (England). Sollte ein Auslandsaufenthalt für alle Lehramtsstudierenden verpflichtend sein? Eine zwingende Notwendigkeit sehe ich für alle, die moderne Fremdsprachen unterrichten wollen. Von einer generellen Verpflichtung würde ich allerdings absehen, auch wenn Auslandsaufenthalte für angehende Mathematik- oder Biologielehrkräfte ebenfalls ein Gewinn sind. Wir haben heute eine so große Vielfalt in unseren Klassenzimmern, dass eigene Fremdheitserfahrungen den Blick schärfen können für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, deren Familien zugewandert sind.

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