Aufrufe
vor 3 Jahren

Austausch bildet - Dezember 2020

  • Text
  • Schulpartnerschaft
  • Corona
  • Bildung
  • Europa
  • Deutschland
  • Schule
  • Schulen
  • Austausch
Das Magazin „Austausch bildet“ des PAD veröffentlicht Beiträge zur Praxis im internationalen Schulaustausch. "Austausch trotzt Corona" lautet das Motto der Dezemberausgabe und zeigt, wie Schulen den Schüleraustausch trotz der Pandemie aufrechterhalten haben. Sie können das Heft kostenlos im PAD-Webshop bestellen. www.kmk-pad.org/shop

voltaire Bauhaus und

voltaire Bauhaus und Bratwurst Kaum hatte der Austausch für Amely und Félix im Februar begonnen, hätte er bereits wieder zu Ende sein können. Doch wegen Corona einfach abbrechen? Das kam für die beiden und ihre Familien nicht infrage. Ihr Motto: »Wir kriegen das schon irgendwie gestemmt.« austausch bildet Schüler der Klassen 8 bis 10 in Deutschland und der »troisième« oder »seconde« in Frankreich. Dabei leben sie jeweils ein halbes Jahr in der Familie ihres Gastgeschwisters und besuchen gemeinsam die Schule. »Ich hatte im Deutschunterricht von einem Lehrer von dem Programm erfahren und dachte mir, dass ich diese Chance nutzen sollte«, erinnert sich Félix, der seit seinem Übertritt ans Collège die Sprache erlernt. Von der Stadt Weimar, in die er vermittelt werden sollte, hatte er damals allerdings nur vage Vorstellungen, die vor allem durch den Geschichtsunterricht vermittelt worden waren. Umso genauer sollte er sie in den kommenden Monaten kennenlernen. Dabei stand zu befürchten, dass er den Austausch gleich nach seiner Ankunft wieder abbrechen müsste. Am 29. Februar war Félix in Weimar eingetroffen. Zwei Wochen später kam es zum »Lockdown«, der das öffentliche Leben weitgehend lahmlegte. Doch eine Abreise kam für ihn nicht infrage. Vom Humboldt-Gymnasium, einer Abibac-Schule mit langjähvon martin finkenberger, pad W enn Félix an die vergangenen fünf Monate in Weimar zurückdenkt, fallen ihm zwei Dinge sofort wieder ein: »Bauhaus und Bratwurst«, antwortet der junge Franzose, der in Vichy in der Auvergne aufgewachsen ist. Über die Leibspeise der Thüringer weiß der 16-Jährige, dass sie aus Schweinefleisch hergestellt wird und neben Salz und Pfeffer auch Kümmel und Majoran enthält. Und von dem weltbekannten Stil in Architektur und Design, dessen Wurzeln in Weimar liegen, hat er ein klares Bild gewonnen. »Ein Gebäude in diesem Stil würde ich heute sicher schnell erkennen«, sagt er. Dass Félix unter Mitschülerinnen und Mitschülern und vor Lehrkräften seiner Heimatschule, dem Lycée Albert Londres, mit diesen kulinarischen Details und kulturhistorischen Kenntnissen glänzen kann, verdankt er dem Voltaire-Programm. Der deutsch-französische Austausch richtet sich an Schülerinnen und 26

Schwerpunkt »Austausch trotzt Corona« 27 riger Voltaire-Erfahrung, fühlte er sich gut betreut – und in der Familie seiner frankreichbegeisterten Austauschpartnerin Amely bestens aufgehoben. »Französisch und ich, wir waren schon immer gute Freunde«, erzählt die 16-Jährige. Von Voltaire hatte sie an einem Tag der offenen Tür erfahren – und war begeistert: »Ein halbes Jahr nach Frankreich gehen zu können, das fand ich eine tolle Vorstellung.« Praktikum im Denkmalschutz Was dann im Frühjahr passierte, wirbelte den Alltag der Voltaire-Paare allerdings unerwartet durcheinander. »Am Donnerstag war unser Handballtraining abgesagt worden und am Freitag wurden die Schulschließungen verkündet«, erinnern sich Félix und Amely. Fünf Wochen lang durften beide das Schulgebäude nicht betreten. Statt Trübsinn zu blasen, machten sie das Beste daraus, getreu dem Motto: »Wir kriegen das schon irgendwie gestemmt.« Das gelang zunächst mit einer abwechslungsreichen Gestaltung das Alltags abseits der Onlinetreffen mit den Lehrkräften sowie Mitschülerinnen und Mitschülern: »Wir sind viel an der frischen Luft unterwegs gewesen«, sagen sie. Bald nach den ersten Lockerungen suchten sie zudem nach einem Schülerpraktikum für Félix, das seinen Interessen entgegenkam. Fündig wurden sie beim örtlichen Landesamt für Denkmalpflege. »Archäologische Ausgrabungen haben mich schon immer fasziniert«, berichtet Félix. So konnte er im Juni und Juli mit Kelle und Pinsel in der Hand an Ausgrabungen am Stadtschloss in Weimar mitwerkeln. »Das war zwar sehr anstrengend, hat aber Spaß gemacht.« Obendrein lernte er dabei die Tücken der Bürokratie hautnah kennen, galt es doch einige Formalitäten zu erledigen: »Wir mussten durch einen Dschungel von Papieren«, erinnert sich Amely, die ihn dabei unterstützte. Mehr als Schulbuchfranzösisch lernen Inzwischen ist Félix zurück in Vichy und Amely wohlbehalten dort angekommen. »Mir gefallen die Offenheit und Wärme hier. Ich war erst ein paar Tage in der Familie und gehörte wie selbstverständlich dazu«, erzählt sie. Ihren Geschmack trifft auch die Art des französischen Humors, der oft eine versteckte Ebene enthalte: »Anfangs fiel mir das schwer, aber inzwischen mache ich so was selbst«, sagt sie. Bis Ende Februar 2021 wird Amely in Vichy bleiben und mit Félix die Schule besuchen. Dass sie dabei »mehr als Schulbuchfranzösisch« lernt, davon geht sie aus. Nicht weniger wichtig findet sie allerdings, dass Austauscherfahrungen die sozialen Kompetenzen erweitern können: »Sich anpassen, Kompromisse schließen und nach einem Streit wieder zusammenfinden muss man lernen«, erläutert sie – und verweist auf die Erfahrungen während des Lockdown: »Da saßen wir zeitweise eng aufeinander, sodass es wegen Kleinigkeiten auch mal knirschen konnte«, erinnert sie sich. Dem Unterricht in den kommenden Monaten sieht sie deshalb gelassen entgegen: »Félix hat mir viel über die Schule erzählt, so dass ich einigermaßen weiß, wie der Alltag aussieht. Und die Lehrer sind hoffentlich tolerant, wenn ich nicht alles auf Anhieb verstehe«, ist sie optimistisch. Damit in den ersten Tagen kein Heimweh aufkommt, hat sie außerdem eine schmackhafte Erinnerung eingepackt: Thüringer Bratwürste, die »für mindestens zwei Wochen reichen«. Über das Programm Das Voltaire-Programm wird im Auftrag des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) vom Centre Français de Berlin in Kooperation mit dem PAD durchgeführt. Schülerinnen und Schüler der 8. bis 10. Klasse (Regelung je nach Bundesland) können sich online bewerben und bekommen einen Austauschpartner aus Frankreich zugeteilt. Gemeinsam besuchen beide ein halbes Jahr lang die Schule in Deutschland, danach findet der Gegenbesuch in Frankreich statt. Bewerbungen für das Programmjahr 2022 von Anfang März bis Ende Februar des Folgejahres können voraussichtlich ab Juli 2021 eingereicht werden. Weitere Informationen https://centre-francais.de/de/ schueleraustausch-frankreich

Publikationen

Folgen Sie dem PAD