Aufrufe
vor 3 Jahren

Austausch bildet - Dezember 2020

  • Text
  • Schulpartnerschaft
  • Corona
  • Bildung
  • Europa
  • Deutschland
  • Schule
  • Schulen
  • Austausch
Das Magazin „Austausch bildet“ des PAD veröffentlicht Beiträge zur Praxis im internationalen Schulaustausch. "Austausch trotzt Corona" lautet das Motto der Dezemberausgabe und zeigt, wie Schulen den Schüleraustausch trotz der Pandemie aufrechterhalten haben. Sie können das Heft kostenlos im PAD-Webshop bestellen. www.kmk-pad.org/shop

johannes-rau-stipendiatenprogramm die Musik Der Ton macht Vieles verbindet Israel und Deutschland – und doch gibt es auch Gegensätze. Ohad Stolarz erfuhr das als Jugendlicher, als er als Johannes-Rau-Stipendiat das Herkunftsland seiner Großeltern kennenlernte. Mittlerweile lebt der israelische Komponist in Berlin und versteht nicht nur die Sprache, sondern auch die Menschen in Deutschland besser. austausch bildet von maria birkmeir, pad » D ie Matthäus-Passion von Bach im Großen Saal der Berliner Philharmonie«, daran erinnert sich Ohad Stolarz besonders gerne, wenn er an seinen ersten Besuch in der deutschen Hauptstadt denkt. Als 16-jähriger Schüler verbrachte er im Oktober 2006 als Johannes-Rau-Stipendiat zwei Wochen in Deutschland, gemeinsam mit 19 anderen israelischen Jugendlichen. Über eine Zeitungsannonce war er damals auf das Programm aufmerksam geworden. Ohad bewarb sich, kam zum Auswahlgespräch in die Deutsche Botschaft in Tel Aviv – und wurde ausgewählt. Als Jugendlicher sah er darin vor allem eine willkommene Gelegenheit, die Welt außerhalb seines Heimatstaates Israel kennenzulernen: »Ich komme nicht aus einem Elternhaus, in dem viel gereist wurde, und die meisten Nachbarländer Israels kann man nicht einfach so besuchen. Fast alle Auslandsreisen, die ich als Jugendlicher erlebt habe, fanden über Austauschprogramme und Schuldelegationen statt. Ich habe zum Beispiel auch einmal an einem Chanson-Abend für Schulen teilgenommen und so eine Reise nach Frankreich gewonnen«, erzählt er. Obwohl Ohads Großeltern mütterlicherseits aus Deutschland stammen, hatte er eine eher vage Vorstellung dessen, was ihn hier erwarten würde. Der musikbegeisterte junge Mann kannte die deutsche Klassik und hatte sich in der Schule vor allem mit der Geschichte des Holocaust beschäftigt: »In Israel lernt man natürlich viel über den Zweiten Weltkrieg. Ich wusste wahrscheinlich mehr über die Geschichte als über die Gegenwart Deutschlands«, sagt er. Kontroverse Diskussionen in der Gruppe Nur wenige Wochen, bevor Ohad seine deutsche Gastfamilie persönlich kennenlernen kann, kommt es im Sommer 2006 zu Kämpfen zwischen der Hisbollah und Israel – dem »33-Tage-Krieg«, der Mitte August mit einem Waffenstillstand endet. Vor der Abreise beschäftigte Ohad deshalb vor allem die Frage: Was wissen und denken die Jugendlichen in Deutschland über Israel? In Leipzig wurde er herzlich empfangen: »Das Mädchen, bei deren Familie ich wohnte, war sehr nett zu mir. Ich kannte bisher keine Deutschen in meinem Alter, sie war wirklich die Erste. Und alle Menschen waren interessiert und offen.« Während seines Aufenthalts an der Schule organisiert die Gastfamilie ein ausgiebiges Kulturprogramm für Ohad. Anschließend verbringen die israelischen Jugendlichen gemeinsam mit ihren deutschen Gastgeschwistern eine Woche in Berlin. Der Austausch verlief allerdings nicht immer harmonisch, erinnert sich Ohad: »Ich hatte ein langes Gespräch mit meiner Gastgeberin damals. Und wir konnten uns gegenseitig nicht verstehen, weil wir in Israel in einer anderen Realität leben. Trotz der vielen Gemeinsamkeiten gab es auch viele Unterschiede.« 34

Erfahrungen 35 Die Jugendlichen aus Israel, die an dem Programm teilnehmen, stehen kurz vor ihrem Schulabschluss, an den sich ein mehrjähriger Wehrdienst anschließt. Mit Aussagen wie »Krieg ist keine Lösung« konfrontiert zu werden, war deshalb für Ohad nicht einfach. »Junge Deutsche dieser Generation haben, was hoffentlich so bleibt, keinen Krieg erlebt und keine Vorstellung davon. Sie leben in einer Welt, in der es für sie keinen vernünftigen Grund gibt, einen Krieg zu führen. Sie hatten kein Verständnis dafür. Und es war schwierig für mich, das zu erklären. Wahrscheinlich bin ich damals auch komisch rübergekommen. Seitdem habe ich viel gelernt, ich würde damit jetzt anders umgehen.« Zum Musikstudium nach Berlin Nach Abschluss seines Militärdienstes in Israel wollte Ohad ein Musikstudium beginnen und dafür ins Ausland gehen. Dass die Wahl auf Berlin fiel, hat nicht nur mit der großen Anziehungskraft der Stadt auf »junge Leute und Musiker« zu tun, sondern ein klein wenig auch mit seinen Erinnerungen aus der Zeit als Johannes-Rau-Stipendiat: »Die Eindrücke haben mich vermutlich auch motiviert, als ich darüber nachdachte, nach Deutschland zu gehen«, sagt er. Noch in Israel beginnen er und seine Freundin, von Beruf Sängerin, einen Sprachkurs und ziehen schließlich 2013 nach Berlin. Deutsch spricht Ohad mittlerweile fließend. In Sprachbarrieren sieht er im Rückblick auch einen Grund für die Kommunikationsprobleme zwischen den deutschen und israelischen Jugendlichen. Der Austausch fand nämlich auf Englisch statt: »Immer dann, wenn eine dritte Sprache benutzt wird, wird alles ein bisschen verfremdet. Viele Menschen gehen davon aus, dass sie mit Englisch schon klarkommen. Natürlich klappt das irgendwie auch. Aber wenn man an einem Ort im Ausland leben will, dann reicht das nicht. Man kann vielleicht im Restaurant etwas bestellen, aber nicht wirklich am Leben teilnehmen.« Im Berliner Leben ist Ohad angekommen: Nach seiner Ankunft gründet er den Hebräischen Chor Berlin, einen deutsch-israelischen Laienchor. Als Stipendiat des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks beginnt er an der Hochschule für Musik Hanns Eisler ein Studium im Chordirigieren und veröffentlicht im Herbst 2019 ein eigenes Chorbuch mit sephardischen Volksliedern in Ladino, der Sprache der sephardischen Juden. Zwei Lieder daraus wählt sein Professor, der bekannte Dirigent Justin Doyle, sogar für ein Konzert des RIAS Kammerchors aus, das, hätte es nicht aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden müssen, im März im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie aufgeführt worden wäre. Für Ohad ist dieser Ort trotzdem mit weiteren unvergesslichen Erinnerungen verbunden: »Immerhin war ich bereits bei den Proben dabei, habe mit der Aussprache des Sephardischen geholfen und den Chor meine Lieder singen hören. Auch das war bereits wunderschön und ein großes Privileg.« Weitere Informationen www.ohadstolarz.com Fotos: Álfheiður Erla Guðmundsdóttir (o.), Bundesregierung/Henning Schacht (u.) 20 Jahre Johannes-Rau-Stipendiatenprogramm Jugendliche aus Israel und Deutschland sollen sich »kennenlernen, sich gemeinsam mit der Vergangenheit auseinandersetzen und gemeinsam Zukunft suchen», erklärte Bundespräsident Johannes Rau 2000 in einer Rede vor dem israelischen Parlament. Ein Stipendiatenprogramm gibt seitdem jedes Jahr im Herbst 20 Schülerinnen und Schülern aus Israel die Gelegenheit zu einem Besuch in Deutschland. Geplant und durchgeführt wird es vom PAD. Finanzielle Mittel stellt das Auswärtige Amt bereit. Während des Aufenthalts sind die israelischen Jugendlichen in Gastfamilien untergebracht und nehmen am Unterricht teil. Anschließend verbringen sie gemeinsam mit ihren Gastgeschwistern eine Woche in Berlin. 2019 hatten die Stipendiatinnen und Stipendiaten die Gelegenheit zu einem Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Publikationen

Folgen Sie dem PAD