Aufrufe
vor 3 Jahren

Austausch bildet - Dezember 2020

  • Text
  • Schulpartnerschaft
  • Corona
  • Bildung
  • Europa
  • Deutschland
  • Schule
  • Schulen
  • Austausch
Das Magazin „Austausch bildet“ des PAD veröffentlicht Beiträge zur Praxis im internationalen Schulaustausch. "Austausch trotzt Corona" lautet das Motto der Dezemberausgabe und zeigt, wie Schulen den Schüleraustausch trotz der Pandemie aufrechterhalten haben. Sie können das Heft kostenlos im PAD-Webshop bestellen. www.kmk-pad.org/shop

Fremdsprachenassistenzprogramm austausch bildet meiner Frau, die ich in Irland kennengelernt hatte, nach Dublin. Der Vorteil war, dass wir anfangs bei meinen Schwiegereltern wohnen konnten. Und weil meine Frau als Lehrerin sofort einen Job bekam, konnte ich mir den Luxus erlauben, mich als Journalist für die »taz« auszuprobieren. Wie haben Sie die Zeitung, die damals einen exotischen Charakter in der bundesdeutschen Medienlandschaft hatte, Ihren Gesprächspartnern vorgestellt, um ernst genommen zu werden? Natürlich als eine landesweit verbreitete Zeitung von einiger Bedeutung, wenngleich organisiert in Form einer linken Kooperative. Trotz ihrer geringen Auflage hatte die »taz« ja immer mehr Leserinnen und Leser als Käufer. Das lag wohl an den vielen Abos in Wohngemeinschaften, die sich die Zeitung teilten. Nebenbei haben Sie im Lauf der Jahre auch mehrere Irland-Reiseführer verfasst. Welches Klischeebild ist denn hierzulande heute noch so präsent, dass Sie dagegen anschreiben? Da hat sich nicht viel geändert in den letzten Jahrzehnten. So hält sich hartnäckig das Gerücht, dass Iren viel trinken, immer lustig sind und mit dem Singen anfangen, wenn sie ein paar Guinness intus haben. Nun ja. Allerdings ist es auch so, dass jedes Klischee einen wahren Kern enthält. Um ein Beispiel zu nennen, weil mir das bei jedem Besuch in Deutschland auffällt: Iren sind grundfreundliche Menschen. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort »Ein Fremder ist ein Freund, dem man bislang noch nicht begegnet ist«. Und das wird hier auch so gelebt. Sie wiederum schreiben über Heinrich Bölls »Irisches Tagebuch«, das von ihm gezeichnete Bild habe es »schon damals, nicht so ganz« gegeben und vieles sei von Böll »erfunden« worden. Ist das nur eine Spitze? Oder lässt sich das belegen? Als in dem Cottage auf Achill Island, wo Böll viele seiner Bücher geschrieben hat, ein Schriftstellerzentrum eingerichtet wurde, waren zur Eröffnung auch einige der Protagonisten aus dem »Irischen Tagebuch« gekommen. Als ich die in dem Tagebuch erwähnte junge Arztfrau, die inzwischen Anfang 60 war, fragte, ob sie noch den Kupferkessel besitze, den ihr Mann als Lohn bei der Entbindung einer Schwangeren bekommen habe, lachte sie und meinte, das habe der »gute Heinrick« erfunden. Denn so hinterwäldlerisch, wie sie in dem Tagebuch rüberkamen, seien sie natürlich nicht gewesen. Schlimm ist das nicht. Böll war ja Schriftsteller und durfte flunkern. In einem Ihrer Artikel hieß es einmal wenig schmeichelhaft über Irland, vierzig Prozent seiner Einwohner hätten noch nie in ihrem Leben ein Deo benutzt. Warum haben Sie dann trotzdem die irische Staatsbürgerschaft angenommen? Dieser Satz erschien auf der täglichen Satireseite der »taz« und beruhte auf offiziellen Statistiken. In Irland wird das aber kaum jemand gelesen haben. Falls doch, hat er es hoffentlich mit Humor genommen. Aber eigentlich ist die DDR schuld an der irischen Staatsbürgerschaft. Meine Frau und ich hatten viele Freunde im Ostteil der Stadt. Es gab aber keinen gemeinsamen Übergang für Westberliner und Ausländer, sodass wir immer getrennt einreisen mussten – mit PKW und S-Bahn. Irgendwann wurde uns das zu blöd, sodass ich einen irischen Pass beantragt habe. Kaum hatte ich den, fiel die Mauer. Soweit ich mich erinnern kann, haben wir es nur noch einmal geschafft, gemeinsam über Checkpoint Charlie einzureisen. Immerhin war eine Einreise unter erschwerten Umständen besser als das Verbot, mit dem Sie einige Zeit belegt waren. Ich durfte tatsächlich vier Jahre gar nicht nach Ostberlin. Erst dachte ich, die DDR hätte mich mit dem Chef der größten Freimaurerloge der Bundesrepublik verwechselt, der auch Ralf Sotscheck hieß und ebenfalls als Journalist arbeitete. Als ich davon erfuhr, habe ich dem Innenministerium der DDR einen Brief geschrieben – und konnte kurz darauf wieder einreisen. Als ich dann später meine Stasiakte eingesehen habe, wurde mir klar, dass das Verbot einen ganz anderen Hintergrund hatte. 40

41 Nämlich? Die Stasi hielt mich für einen Kurier des Regimekritikers Robert Havemann, der damals in Hausarrest lebte. Dabei habe ich weder Havemann noch die in der Akte ebenfalls erwähnte Kontaktperson aus Westberlin jemals getroffen. Ich erkläre mir den Irrtum damit, dass ich wohl beim Anstehen am Grenzübergang in der Friedrichstraße mit einer Person ins Gespräch kam, die tatsächlich als Kurier für Havemann unterwegs war, sodass dieser Verdacht auch auf mich fiel. Es hat dann vier Jahre gedauert, bis die Stasi eingesehen hat, dass es dafür keine Anzeichen gibt. Das alles ist auf immerhin 120 Seiten dokumentiert, die heute in der Stasiunterlagenbehörde liegen. Sogar eine Abschrift meines Briefes ans Innenministerium ist dort abgeheftet. Wahrscheinlich dachte die Stasi, dass ich irgendein Spinner bin. Denn meine Vermutung, das Einreiseverbot beruhe auf einer Verwechslung mit dem gleichnamigen Freimaurer, stimmte ja gar nicht. Statt auf Pressekonferenzen trifft man Sie viel häufiger im Pub. Warum spielen Pubs in Ihrer Informationsbeschaffung eine so wichtige Rolle? Ein Pub ist ja nicht nur da, um alkoholhaltige Getränke einzunehmen. Er ist zugleich verlängertes Wohnzimmer, Nachrichtenbörse und Kontaktschmiede. In Irland war es nämlich früher unüblich, Menschen nach Hause einzuladen. Stattdessen traf man sich im Pub. Und die Gespräche in dieser informellen Atmosphäre sind oft wertvoller als eine Pressekonferenz. Aber auch diese Kultur befindet sich im Wandel. Das liegt vermutlich an den schärferen Gesetzen, was Alkoholkonsum für Autofahrer betrifft, und den fehlenden öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem zersiedelten Land. Viele Bauern, die einsam auf einem Gehöft leben, können so nicht mehr kommen. Einige Kneipiers haben sich deshalb einen Minibus zugelegt, um ihre Gäste abzuholen und wieder nach Hause zu fahren. Zwei Irland-Botschafter an einer ihrer Arbeitsstätten: Der Journalist Ralf Sotscheck (li.) und der Übersetzer Harry Rowohlt (re.). Nach fast vierzig Jahren Lebenserfahrung in Irland: Welche Eigenheit ist Ihnen, Hand aufs Herz, bis heute fremd geblieben? Da muss ich lange überlegen. Wenn ich »Unpünktlichkeit« sagen würde, würden mich die Iren wohl auslachen, weil das auf mich selbst zutrifft. Vielleicht neuerdings die Bürokratie? Die Iren setzen jede Direktive der EU schnell und gewissenhaft um. Alle sonstigen Schwächen, die den Iren nachgesagt werden, kenne ich auch von mir. Wahrscheinlich lebe ich deshalb so gerne hier, weil das Land gut zu mir passt. Zur Person Ralf Sotscheck, Jahrgang 1954, war 1976/77 Fremdsprachenassistent an der Lisnagarvey High School und Fort Hill Girls’ High School in Lisburn bei Belfast. Seit 35 Jahren ist er Irland- Korrespondent der »tageszeitung«.

Publikationen

Folgen Sie dem PAD