Du gehörst dazu Wie können die abstrakten Begriffe der Inklusion mit Leben gefüllt werden, fragte sich eine Kölner Förderschule. Anregungen dafür fand sie beim Austausch mit ihren Erasmus-Partnern aus Portugal und Rumänien. Die Begegnung der europäischen Jugendlichen leistete dabei einen ganz praktischen Beitrag zur Inklusion. austausch bildet von iris ollech K indergroß steht eine Reihe hölzerner Stifte in leuchtenden Farben auf dem Pausenhof der Schule Zülpicher Straße. Die markante Installation passt gleich doppelt gut: Zum Standort im bunten Kölner Stadtteil Sülz und zum Anspruch der Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung, ihre Erst- bis Zehntklässler mit unterschiedlichsten Bedürfnissen zu unterstützen. Denn die rund 120 Mädchen und Jungen, unter anderem mit ADHS, autistischem Verhalten oder Ängsten, kamen im regulären Bildungssystem nicht zurecht und bedürfen besonderer pädagogischer Begleitung. An der Förderschule erhalten sie die Chance, den »Bildungsgang Lernen« anzuschließen und ihren Hauptund Realschulabschluss zu machen. Uwe Bongard unterrichtet hier Kunst, Geschichte und Mathematik und engagiert sich seit Jahren für Erasmus+. Der Titel des letzten Projekts »Du gehörst dazu! Gemeinsam lernen mit dem Index für Inklusion« bringt die pädagogische Haltung des 56-Jährigen und seiner Kolleginnen und Kollegen auf den Punkt. »Das Thema beschreibt unser zentrales Anliegen: Jedes Kind ist anders, und mit dieser Heterogenität umzugehen, ist eine Herausforderung, die wir gerne annehmen«, erklärt Uwe Bongard. Statt auf Defizite ihrer Schützlinge konzentrieren sich die Lehrkräfte auf deren Stärken und fanden hierfür engagierte europäische Mitstreiter. Mit ihren Projektpartnern, einer Gesamtschule in Portugal und einer allgemein- und berufsbildenden Schule in Rumänien, hatten die Kölner schon zwei erfolgreiche Projekte auf die Beine gestellt, als sie 2017 mit »Du gehörst dazu!« der Inklusion einen kraftvollen Schub verleihen wollten. Drei Länder, drei Schulformen und drei Jahre Zusammenarbeit mit einem gemeinsamen Ziel – diese Kombination hat Uwe Bongard als äußerst gewinnbringend erlebt: »Das Thema Inklusion betrifft uns alle, nicht nur Kinder mit sonderpädagogischem Bedarf. In Rumänien ist die Integration von Sinti und Roma ein wichtiges Thema, und gemeinsam mit unseren portugiesischen Partnern suchten wir nach Konzepten, Schulverweigerer einzugliedern«, erläutert er. 20
Erasmus+ Inklusion 21 Neue Fähigkeiten entdecken Dabei orientierten sich die Projektpartner am »Index für Inklusion«, den die britischen Professoren Tony Booth und Mel Ainscow 2003 entwickelt hatten. Seither nutzen Bildungseinrichtungen in aller Welt den Leitfaden mit seinen vielfältigen Anregungen, um Lernbarrieren abzubauen und die Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler zu fördern. An der Schule Zülpicher Straße organisierten Uwe Bongard und seine Kolleginnen und Kollegen mit großem Elan Projekttage und Themenwochen mit kunst- und erlebnispädagogischen Aktivitäten. Beim gemeinsamen Klettern, Kanufahren oder in einer Zirkus-AG entdeckten die Schülerinnen und Schüler ganz neue Fähigkeiten bei sich und anderen. Wer im Unterricht still und zurückhaltend ist, wird als besonnenes Gruppenmitglied geschätzt, unruhige Kinder lenken ihre Energie in Tatkraft um. »Wir wollten das Selbstvertrauen stärken, Erfolgserlebnisse vermitteln und einen respektvollen Umgang miteinander fördern, gemäß unserem Motto, dass jeder dazugehört«, erläutert Uwe Bongard. »Und um dies zu erreichen, haben wir alle Klassenstufen, das gesamte Kollegium und auch die Familien eingebunden.« Ein Ansatz, der in Portugal längst Schule gemacht hat. Der Projektpartner in Terras de Bouro veranstaltet regelmäßig Theaterabende für die Großeltern und konnte Eltern zur Mitarbeit gewinnen. Davon konnten sich Uwe Bongard und seine Kolleginnen und Kollegen selbst ein Bild machen. Nach ersten Treffen 2018 im rumänischen Cluj-Napoca und in Köln fuhren sie ein Jahr später mit einer fünfköpfigen Schülergruppe nach Portugal. Für manche war es die erste große Reise, sie mussten sich in einer fremden Kultur zurechtfinden und auf Englisch kommunizieren. Eine Herausforderung, die sie bestens gemeistert haben, erzählt der 16-jährige Kevin stolz: »Ich wollte dabei sein, um meine Flugangst zu überwinden. Mittlerweile liebe ich es, zu reisen und Neues zu entdecken.« Und der 15-jährige Sam erlebte, dass seine Sorge, sich in der Ferne unwohl zu fühlen, unbegründet war: »Ich habe gar nicht an zu Hause gedacht. Für mich war die Reise sehr wichtig.« Seine Mutter Roxana bestätigt das: »Sam hatte nicht nur viel Spaß, er ist auch erwachsener geworden.« Berührungsängste zwischen den Jugendlichen aus Deutschland, Portugal und Rumänien gab es kaum, ihnen war es gleichgültig, ob jemand schneller oder langsamer lernt. »Wir hatten einen Jungen dabei, der sehr wenig spricht. Aber er kam so charmant rüber, dass die Portugiesen ihn gleich ins Herz geschlossen haben«, erinnert sich Uwe Bongard. Diese positiven Erfahrungen bestärken auch Schulleiterin Judith Schmischke, die das Erasmus-Projekt tatkräftig unterstützt hat. Sie beschreibt es als »Motor für die Schulentwicklung«. Der läuft auch nach Abschluss der dreijährigen Erasmus-Kooperation kraftvoll weiter, um der Inklusion Tempo zu verleihen und jeder Schülerin und jedem Schüler zu vermitteln: »Du gehörst dazu!« — Die Autorin ist Journalistin in Bonn. Herausforderungen meistern Programm Erasmus+ Schulbildung Projekttitel Du gehörst dazu! Gemeinsam lernen mit dem Index für Inklusion Beteiligte Schulen Agrupamento de Escolas de Terras de Bouro (Portugal), Colegiul Tehnic Energetic Cluj-Napoca (Rumänien) Laufzeit September 2017 bis August 2020 EU-Zuschuss 42.050 € für die Schule in Deutschland Weitere Informationen www.schule-zuelpicherstr.de/das-besondere/ erasmus
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