Bretagne Woher kam Ihr Interesse an deutscher Geschichte und deutsch-französischen Themen? Ich bin in der Bretagne aufgewachsen, weit weg von der deutsch-französischen Grenze. Mein Vater hatte allerdings eine große Leidenschaft für die deutsche Sprache und Deutschland, die er meiner Schwester und mir weitergegeben hat. Er wollte unbedingt, dass wir als erste Fremdsprache Deutsch lernen, was wohl mit unserer Familiengeschichte zu tun hat: Mein Urgroßvater war nämlich im Ersten Weltkrieg einige Jahre Kriegsgefangener auf einem Bauernhof in Deutschland und hat sich später, so merkwürdig das klingt, immer sehr anerkennend über die Familie, in der er lebte, geäußert. Im Gegensatz zu vielen anderen Franzosen waren die Deutschen in meiner Familie mit positiven Erinnerungen verbunden. Sodass Sie fast automatisch zum Deutschlernen kamen? Ich habe als 11-Jährige begonnen und bin später extra in Rennes, drei Stunden entfernt von meinem Heimatort, aufs Gymnasium gegangen, weil ich dort das deutsch-französische Abitur ablegen konnte. Ich hatte aber auch sehr gute Deutschlehrer, die ihre Schülerinnen und Schüler enorm motiviert haben. Und in der 8. und 9. Klasse konnte ich an einem Austausch mit einer Schule in Wittmund teilnehmen. Meine erste Deutschlanderfahrung war Ostfriesland. Ich hatte mich in Bielefeld im Nebenfach für Deutsch als Fremdsprache eingeschrieben. Nach meinem Masterabschluss in Paris wollte ich auch dieses Studium abschließen, sodass ich in meiner Bewerbung explizit den Wunsch für diese Region geäußert habe. So kam ich ans Max-Planck-Gymnasium, wo ich ausgesprochen gut vom Kollegium aufgenommen wurde. Wie haben Sie den Unterricht wahrgenommen? Mir ist aufgefallen, dass das Verhältnis zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern ein anderes ist. In Deutschland begegnen sich beide auf Augenhöhe. In Frankreich dagegen besteht eine größere Distanz. Erstaunt war ich auch darüber, dass Schülerinnen und Schüler im Unterricht essen und trinken können oder mit dem Lehrer verhandeln, wenn zum Beispiel eine Klassenarbeit ansteht und sie meinen, sie hätten schon zu viele Prüfungen. Das wäre in Frankreich nicht denkbar. Wenn der Lehrer dort sagt, dass es morgen einen Test gibt, dann gibt es ihn. Anfangs war ich deshalb unsicher, wie mein Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern aussehen sollte. Als Fremdsprachenassistentin war es nicht immer einfach, die eigene Position in der Klasse zu finden. Ich war ja keine Lehrerin und, was das Alter betrifft, nahe an den Schülerinnen und Schülern. Foto: Roman März austausch bildet Wo Sie auch Ostfriesenwitze gehört haben? Oh ja. Sie ähneln den Witzen, die Franzosen über Belgier machen. Aber ich habe nur ausgesprochen nette Ostfriesen kennengelernt und der Austausch war eine schöne Erfahrung. Germanistik studieren wollten Sie aber doch nicht? Darüber habe ich längere Zeit nachgedacht. Aber nach der »Classe préparatoire«, die auf die Universität vorbereitet, entschied ich mich für einen deutsch-französischen Studiengang in Geschichte. So kam ich im Wintersemester 2001/02 mit 19 Jahren nach Bielefeld. Ich erinnere mich noch gut an diese Zeit, weil es ein paar Wochen noch die Deutsche Mark gab, bevor der Euro eingeführt wurde. Im Schuljahr 2005/06 und 2006/07 waren Sie Fremdsprachenassistentin in Bielefeld. Hatten Sie nach dem Studium nicht genug von Ostwestfalen? Brens Deutsche Widerstandskämpferin in der französischen Résistance: Sterenn Le Berre hat sich auf die Spuren von Dora Schaul (links) in Frankreich begeben. 28
Fremdsprachenassistenzprogramm 29 Hat sich in Bielefeld auch Ihr Blick auf Deutschland geändert? Das kam stärker durch das Studium. Eine Kommilitonin zum Beispiel, mit der ich mich angefreundet hatte und die in Rostock geboren war, hat mir viel über ihr Alltagsleben in den 1980er-Jahren in Ostdeutschland erzählt. Bis dahin kannte ich vor allem die Perspektive der Geschichtsschreibung des Westens. Und das häufigste Wort, das ich in Zusammenhang mit der DDR gelesen hatte, war »Diktatur«. Die Gespräche haben mir einen anderen Blick für den Alltag der Menschen in der DDR vermittelt und ich habe gelernt, Dinge nuancierter zu betrachten. Bielefeld Zum Beispiel? Etwa zum Thema »Frauenrechte« und dem Platz der Frauen in der Gesellschaft. In der DDR war es, anders als in Westdeutschland, üblich, dass Frauen berufstätig waren, so wie ich das aus Frankreich kannte. Der Begriff »Rabenmutter« existierte dort nicht. Was haben Sie als Fremdsprachenassistentin gelernt, wovon Sie heute noch profitieren? Die Art und Weise, wie die Lehrkräfte unterrichten, war für mich bereichernd und inspirierend. Die Schülerinnen und Schüler lernen hier sehr früh, in Gruppen zu arbeiten. In Frankreich dagegen gibt es noch mehr Frontalunterricht. Und natürlich habe ich meine Deutschkenntnisse verbessert. Ich habe meine Schülerinnen und Schüler immer gebeten, mich zu korrigieren, wenn ich etwas falsch ausspreche. Nach der Lehramtsprüfung in Frankreich haben Sie viele Jahre Deutsch an einem Collège in Montreuil bei Paris unterrichtet. War die Fremdsprache beliebt? Es gab ausreichend viele Schülerinnen und Schüler, aber ich musste jedes Jahr für Deutsch werben. Ich bin deshalb in die Grundschulen am Ort gegangen, um Deutsch vorzustellen. Und natürlich habe ich regelmäßig Klassenfahrten nach Deutschland organisiert. Für viele Schülerinnen und Schüler ist es eine große Motivation, wenn sie wissen, dass es zum Abschluss eine solche Reise geben wird. Gegen welche Konkurrenz musste sich Deutsch behaupten? Bei der zweiten Fremdsprache vor allem gegen Spanisch, denn Deutsch gilt als Sprache für Schülerinnen und Schüler mit guten Noten. Ich habe jahrelang versucht, gegen dieses Klischee anzugehen, aber das ist schwierig. Oft sind es gar nicht die Schülerinnen und Schüler, die dieses Vorurteil pflegen, sondern die Eltern. Viele sagen, sie wollten ihre Kinder nicht Deutsch lernen lassen, weil sie selbst die Sprache nicht können, sodass sie später ihren Kindern nicht helfen könnten. Dem habe ich immer entgegengehalten, dass die meisten Eltern auch kein Physik- oder Chemiestudium absolviert haben und die Kinder trotzdem diese Fächer lernen. Seit zwei Jahren arbeiten Sie im Ministère de l’éducation nationale et de la Jeunesse, dem französischen Erziehungs- und Jugendministerium. Was genau ist Ihre Aufgabe dort? Ich bereite für das Ministerium die Sitzungen des Beirats und des Verwaltungsrats des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) vor. In diesen Gremien geht es vor allem um finanzielle und strategische Fragen. Außerdem kümmere ich mich um den Deutsch-Französischen Bürgerfonds, der zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützt. Meine Kontakte zu Deutschland sind deshalb weiterhin sehr eng. Mit den Kollegen des Jugendministeriums in Deutschland bin ich fast täglich am Telefon oder per Videokonferenz im Gespräch. Und wenn Sie heute auf die Zeit am Max-Planck-Gymnasium und an der Universität Bielefeld zurückblicken: Gibt es die Stadt wirklich? Ich denke schon, denn sonst wäre ja mein Magister, den ich hier erworben habe, eine Fälschung. Zur Person Sterenn Le Berre, Jahrgang 1982, arbeitet in Frankreich im Ministerium für Erziehung, Jugend und Sport im Bereich des internationalen Jugendaustauschs. Im Schuljahr 2005/06 und 2006/07 war sie Fremdsprachenassistentin am Max-Planck-Gymnasium in Bielefeld.
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