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Austausch bildet - Juni 2018

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Das Europäische Kulturerbejahr, ein deutsch-türkisches "Traumprojekt" und angehende Erzieherinnen und Erzieher, die tschechische Sagen als Kindertheaterstück umsetzen – in der neuen Ausgabe des Magazins "Austausch bildet" liegt der Schwerpunkt auf dem Thema "Kulturelle Bildung im internationalen Austausch". Außerdem werden die Aktivitäten rund um das 10-jährige Jubiläum der PASCH-Initiative vorgestellt und ehemalige Programmteilnehmer/-innen kommen zu Wort. Das Magazin erscheint zweimal im Jahr und kann kostenlos abonniert oder online gelesen werden.

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41 austausch bildet Der sächsische Dialekt war Ihnen bis dahin nicht begegnet. Umso besser vertraut sind Sie dagegen mit dem Donauschwäbischen. Wieso? Meine Großeltern kamen ursprünglich aus Rumänien, Ungarn und Jugoslawien und waren nach dem Zweiten Weltkrieg nach Kanada ausgewandert. Ich kannte den donauschwäbischen Dialekt deshalb durch die Gespräche zu Hause. Mais beispielsweise hieß bei uns »Kukuruz« und zur Kartoffel sagten wir »Grumbir«. Mit Hochdeutsch hat das allerdings wenig zu tun. Das lernte ich erst in der Samstags schule, in die mich meine Eltern geschickt haben. In der Region von Waterloo leben ja viele Menschen, deren Familien aus Mitteleuropa zugewandert waren. Die Stadt Kitchener, in der ich aufgewachsen bin, hieß früher Berlin, bevor sie 1916 umbenannt wurde. Als Fremdsprachenassistentin wurden Sie ins Sauerland vermittelt. So reizvoll die Landschaft ist, so beengt mag einem die Region vorkommen. Wie haben Sie sich zurechtgefunden? Ich habe mich ganz bewusst für Schmallenberg beworben. Durch einen früheren Freund kannte ich dort schon ein paar Leute. Und der Ort hat mir gut gefallen – auch wenn ich mich manchmal etwas einsam gefühlt habe. In Deutschland schließt man Freundschaften eben nicht so schnell, wie das in Nord amerika der Fall ist. Dafür sind sie umso intensiver. »Dieser Sprung ins kalte Wasser war für mich wie eine „Initiation into Life“. « Was haben Sie in der Zeit als Fremdsprachenassistentin gelernt? Als ich in Schmallenberg ankam, begrüßte mich der Betreuungslehrer mit dem Satz, ich müsse einmal in der Woche eine Stunde in jeder der drei 6. Klassen übernehmen. Und das, obwohl ich keine Unterrichtserfahrung mit Kindern in diesem Alter hatte und nicht wusste, wie ich mich als Lehrerin zu verhalten habe, wenn es zum Beispiel Schwierigkeiten mit der Disziplin gibt. Dieser Sprung ins kalte Wasser war für mich wie eine »Initiation into Life«. Uns Fremdsprachenassistentinnen war nämlich vorher gesagt worden, dass wir niemals alleine unterrichten würden. Im zweiten Jahr wollte ich es für mich und die Schüler besser machen – und habe gelernt, in vergleichbaren Situationen deutlich »Nein« zu sagen. Das wurde auch akzeptiert. Was konnten die Schülerinnen und Schüler von Ihnen lernen? In Schmallenberg ergab sich zufällig die Gelegenheit, meiner Leidenschaft für Tanz und Choreografie nachzugehen: Als ich einmal im Lehrerzimmer war, klopften einige Schülerinnen und Schüler und fra gten einen der Lehrer, ob er eine Theater-AG unterstützen wolle. Er hatte allerdings zu viel zu tun und lehnte ab. Ich habe das gehört und angeboten, dass ich gerne die Leitung übernehmen würde, natürlich auf Englisch. So haben wir nach dem Unterricht kleine Stücke geprobt – spöttische Dialoge, die ich selbst verfasst hatte, aber auch zwei Sketche von Robert Munsch, einem in Nordamerika bekannten Kinderbuchautor. Den Schülerinnen und Schülern hat das gro ßen Spaß gemacht. Und eine aus der Gruppe ist, wie ich unlängst erfahren habe, offensichtlich auf dem Weg, eine professionelle Schauspielerin zu werden. Was hat Sie besonders in Deutschland überrascht, als Sie hierherkamen? Ich hatte vor meiner Ankunft keine Vorstellung davon, wie unterschiedlich die Kulturlandschaften in Deutschland aussehen und wie die Menschen im Alltag leben. Um ein klischeehaftes Beispiel zu nennen: Auch in Waterloo gibt es ein Oktoberfest, das vor allem durch die Feiern in den Deutschklubs und Kneipen bestimmt wird. Damit unterscheidet es sich erheblich von der Kirmes mit den vielen Fahrgeschäften und den großen Zelten, wie ich es in München kennengelernt habe. In kleineren Städten fiel mir außerdem auf, wie sehr das Straßenbild von Menschen geprägt wird, die typisch deutschen Stereotypen entsprechen. Bewusst wurde mir das nach meiner Rückkehr nach Kanada, wo im Alltag eine viel größere Vielfalt wahrzunehmen ist, die zeigt, dass das Land eine lange Zuwanderungsgeschichte hat. In Schmallenberg war es für mich eine ungewöhnliche Erfahrung, fast nur von Menschen umgeben zu sein, die wie ich aussehen. Eine Ihrer Schülerinnen hat später in Kanada Kindern Deutsch beigebracht – nämlich bei Ihnen. Ein Zufall? Lisa und ich hatten nach meiner Rückkehr ein paar E-Mails gewechselt, uns dann aber aus den Augen verloren. Eher zufällig trafen wir uns auf Facebook wieder. Irgendwann schrieb sie, dass sie demnächst ein Arbeitsverhältnis beenden werde und die Zeit danach überbrücken wolle. Da ich damals viel zu tun hatte, schien es mir perfekt, wenn jemand wie sie sich mit um meine Kinder kümmern könnte. Ich möchte nämlich gerne, dass auch sie Deutsch lernen, ihnen aber die Samstagsschule ersparen, damit sie den Spaß an der Sprache nicht verlieren. So habe ich Lisa für den Sommer 2016 eingeladen – und sie hat das Angebot angenommen. Für meine Kinder war das ganz toll. Und für mich war es schön, dass ich sehen konnte, was aus einer früheren Schülerin geworden ist. Sie sind freiberuflich auch als Übersetzerin tätig. Welchen deutschsprachigen Autor würden Sie gerne einem Publikum in ihrer Muttersprache näherbringen? In meinem Studium habe ich mich stark auf Sprache und Linguistik konzentriert und weniger auf Literatur. Das entschuldigt vielleicht, dass ich erst kürzlich die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller entdeckt habe, die selbst Donauschwäbin ist. Ihre wichtigsten Bücher liegen bereits auf Englisch vor. Aber als ich unlängst den Gesprächsband »Mein Vaterland ist ein Apfelkern« gelesen habe, in dem sie über ihre Kindheit in Rumänien erzählt, dachte ich mir, dass ich so was gerne einmal übersetzen würde. Ich hoffe, ich wäre gut genug dafür. Zur Person Lori Straus, Jahrgang 1977, arbeitet am »Waterloo Centre for German Studies« der University of Waterloo in Kanada und ist freiberuflich als Übersetzerin und Werbetexterin tätig. Im Schuljahr 2000/01 war sie Fremdsprachenassistentin am Städtischen Gymnasium in Schmallenberg im Sauerland, im Schuljahr 2002/03 in Würzburg am Siebold-Gymnasium und am Friedrich- König-Gymnasium. 40

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