Erfahrungen 23 austausch bildet « erasmus+ schulbildung Bewegende Momente Im Projekt »Journeys for Peace« des Heinrich-Heine-Gymnasiums Bitterfeld-Wolfen besuchen Jugendliche und ihre Lehrkräfte ihre Partnerschulen – und reisen gemeinsam auch im übertragenen Sinne: Sie folgen Geflüchteten auf ihren Routen und treten einen Trip in die eigene Vergangenheit an. von janna degener-storr W hat do you miss when you remember your home country?«, fragt ein Mädchen aus Norwegen. »Friends«, antwortet ein junger Mann aus dem Irak, schreibt das Wort auf ein Kärtchen und klebt es an eine Pinnwand, an der bereits weitere Zettel befestigt sind: »Food« steht auf einem, »Work«, »Education« oder »Safety« auf den anderen. Diese knappen Botschaften sind die Quintessenz der Gespräche von Menschen, die sich fremd und doch so ähnlich sind: Männern und Frauen auf der einen Seite, die aus unterschiedlichen Ländern geflohen sind und jetzt in Sachsen-Anhalt leben. Und Jugendlichen aus Deutschland, Bulgarien, Italien, Norwegen und Spanien auf der anderen Seite, die sich gemeinsam in einer Erasmus+ Schulpartnerschaft mit Fragen rund um Flucht und Migration beschäftigen. Die Interviews finden im Februar 2018 während des Treffens am Heinrich-Heine-Gymnasium Bitterfeld-Wolfen statt, Schülerinnen und Schüler der Partnerschulen arbeiten gemeinsam am Projekt in Teams gemischter Nationalität. Manche sprechen hier Deutsch, andere Englisch, Französisch oder Spanisch miteinander – und bei manchen gelingt die Kommunikation auf einer anderen Ebene, erzählt Anna, Schülerin der 12. Klasse: »Einige unserer Interviewpartner erschienen uns traurig oder ängstlich, als wir sie fragten, wie sie geflüchtet sind. Andere zeigten sich richtig leidenschaftlich, als sie zum Beispiel von einem Sport erzählten, der ihnen Freude bereitet. Solche Emotionen kann man im Gespräch spüren oder in den Augen des Gegenübers sehen, auch wenn sie gar nicht sprachlich ausgedrückt werden.« Für ein friedliches Miteinander Susan Neubert, Italienischlehrerin und Europakoordinatorin an der Schule, freut sich über ein solches Feedback. Denn ihr liegt es am Herzen, dass junge Menschen persönlichen Kontakt zu Geflüchteten bekommen. »Wir arbeiten in diesem Projekt insbesondere daran, unseren Schülerinnen und Schülern den Wert von Offenheit, Toleranz und Empathie zu vermitteln«, sagt sie. »Indem wir geflüchtete Mitmenschen kennenlernen, ihrer Geschichte zuhören und Interesse für ihre Kultur zeigen, können wir Vorurteilen vorbeugen und eine friedfertige Gesellschaft voranbringen.« Die Flüchtlingsinterviews waren für Schülerinnen wie Anna und Lehrkräfte wie Susan Neubert ein bewegender Moment – und doch nur ein Baustein im Erasmus+ Schulprojekt »Journeys for Peace«, das das Heinrich-Heine-Gymnasium seit September 2017 gemeinsam mit je einer Partnerschule in Bulgarien, Illustration: DITHO/João Heleno Duarte Norwegen und Spanien sowie zwei Partnerschulen in Italien durchführt. Auf dem Programm stehen vielfältige Aktionen rund um Flucht und Migration, Krieg und Frieden, Identität und Toleranz: In Kooperation mit einer Förderschule erstellten die Schülerinnen und Schüler beispielsweise Standbilder, um den Begriff Toleranz mithilfe ihrer Körper darzustellen. Gemeinsam mit der Diakonie organisierte die Schule eine Kaffeerunde, zu der Schülerinnen und Schüler Spiele mitbrachten, um sie gemeinsam mit Geflüchteten zu spielen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer setzten sich aber auch mit Friedenshelden wie Mutter Teresa, Mahatma Gandhi oder Malala Yousafzai auseinander. Und derzeit reflektieren die Schülerinnen und Schüler in der Projektarbeit »Heros for Peace« darüber, wie verschiedene Menschen sich weltweit und regional für Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt haben. Flucht und Migration naturwissenschaftlich gesehen Schon in der ersten Phase des Austauschs setzen sich die Schülerinnen und Schüler der beteiligten Schulen mit der Frage auseinander, welche Flüchtlingspolitik ihr Heimatland verfolgt und welche Probleme damit einhergehen. Die Schülerinnen und Schüler erstellten außerdem eine Onlineumfrage, um zu erfassen, welche Einstellungen gegenüber Geflüchteten ihre Mitschüler, Lehrkräfte, und Eltern, aber auch andere Menschen im Umfeld vertreten. »Nach der Zeugnisausgabe, wenn eigentlich alle nach Hause gehen, saßen die Schülerinnen und Schüler aus meiner AG noch bis nachmittags mit mir zusammen, um Balkendiagramme zu erstellen. Das zeigt, wie groß die Motivation ist«, freut sich Susan Neubert. Die Ergebnisse des Fragebogens sollen nun mithilfe der Mathematik-, Informatik- und Physiklehrkräfte ausgewertet werden. Programm Erasmus+ Schulbildung Projekttitel Journeys for Peace Koordinierende Schule Ingieråsen skole Kolbotn (Norwegen) Partner Neben dem Heinrich-Heine- Gymnasium Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt) sind Partnerschulen aus Bulgarien, Italien und Spanien beteiligt. Während der Projektwoche im April 2018 in Italien machten sich die Jugendlichen und ihre Lehrkräfte dann auf eine Reise in die Vergangenheit, um mithilfe eines DNA-Experiments ihre eigenen Wurzeln zu erkunden. Die Schülerinnen und Schüler arbeiteten gemeinsam in einem Labor, um mithilfe der Biologielehrkräfte und einer Wissenschaftlerin der Universität Pavia ihre eigenen Speichelproben zu analysieren. Anschließend konnten sie nachvollziehen, welche Routen ihre eigenen Vorfahren in der mehr als 150 000-jährigen Menschheitsgeschichte auf dem Planeten genommen haben. Dabei zeigte sich: Alle Menschen haben gemeinsame Vorfahren. Migrationsprozesse sind die Norm. Und Rassentheorien lassen sich mit naturwissenschaftlichen Methoden widerlegen. »Wenn man sich vergegenwärtigt, wie lange die Menschen schon auf diesem Planeten leben, verblasst die Bedeutung aktueller politischer Konflikte«, betont Susan Neubert. Ihre Schülerin Anna war zwar schon immer empört darüber, wie viele Flüchtlinge auf ihrem Weg sterben müssen oder sich in der neuen Heimat Anfeindungen ausgesetzt sehen. Das Projekt hat ihr aber dennoch Mut gemacht, auf andere Menschen zuzugehen, sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen und bei Diskussionen Partei zu ergreifen: »Wenn über Ausschreitungen und Konflikte gesprochen wird, sind Argumente besonders wichtig, sodass nicht pauschal und verallgemeinernd über eine ganze Gruppe von Menschen gewettert wird.« — Die Autorin ist Journalistin in Königs Wusterhausen. Laufzeit September 2017 bis Dezember 2019 EU-Zuschuss 24.135 € für die Schule in Deutschland Weitere Informationen www.journeysforpeace-2017-2019. appspot.com 22
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