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Austausch bildet – Juni 2020

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Das Magazin „Austausch bildet“ des PAD veröffentlicht Beiträge zur Praxis des internationalen Schulaustauschs. Schwerpunkt der Juni-Ausgabe ist der Epochenwechsel in Europa vor 30 Jahren. Sie können das Heft kostenlos im PAD-Webshop bestellen.

Erfahrungen Über das

Erfahrungen Über das Weiterbildungsprogramm 33 austausch bildet weiterbildungsprogramm Märchenstunden Für ein Jahr im Weiterbildungsprogramm hat Sapitri Apriliati die Hektik der indonesischen Millionenmetropole Jakarta gegen das beschauliche Leben einer süddeutschen Stadtrandgemeinde eingetauscht. Dabei hat sie alles andere als provinzielle Erfahrungen gemacht. von martin finkenberger, pad E ifersucht unter Geschwistern, der Fluch einer bösen Hexe und die Trennung vom Geliebten, die erst aufgehoben wird, nachdem schwierige Aufgaben gemeistert worden sind: Generationen von Kindern in Indonesien kennen die Geschichte von der »Goldenen Schnecke«, in der zwei Prinzessinnen um die Gunst eines Königssohnes streiten. Diese typischen Elemente eines Märchens boten somit einen guten Anknüpfungspunkt für das Unterrichtsprojekt, das Sapitri Apriliati während ihres Weiterbildungsjahres an der Grundschule Margetshöchheim (Bayern) durchführen wollte: In Indonesien wie auch in Deutschland lassen sich Kinder in diesem Alter leicht für Geschichten begeistern, in denen am Ende das Gute siegt. Mit dem Projektthema war Sapitri Apriliati allerdings nicht nur eine anspruchsvolle Arbeit möglich, bei der sie zugleich ihren kulturellen Hintergrund einbringen konnte. Von den Erkenntnissen aus der Umsetzung und den Methoden, die sie dabei einsetzen wollte, würde sie, so ihre Überlegung, auch im Unterricht nach der Rückkehr in ihre Heimat profitieren können. Dass die studierte Germanistin, die an der Deutschen Schule Jakarta Mathematik, Indonesisch und Bürgerkunde unterrichtet, von der Millionenmetropole Jakarta ausgerechnet in die beschauliche Stadtrandgemeinde von Würzburg vermittelt wurde, empfindet sie nach einem Jahr Weiterbildung keineswegs als Nachteil. »Ich weiß inzwischen den Vorzug zu schätzen, dass die Wege hier nie lang sind«, sagt sie. Auch anfängliche Befürchtungen, die Menschen in kleineren Städten und Dörfern würden ihr als Muslima mit einem Hidschāb zurückhaltend begegnen, hätten sich nicht bestätigt. »Ich habe hier keinerlei schlechte Erfahrungen gemacht«, stellt sie rückblickend fest. Ohnehin meint sie, dass Deutschland bunter geworden sei im Vergleich zu ihren Erfahrungen erst als Au-pair und dann als Studentin Anfang der 2000er-Jahre. »Man hört öfter auch andere Sprachen auf der Straße«, ist ihr aufgefallen. Das Schulleben bereichern Wie willkommen sie war und wie sehr ihre Mitarbeit als Bereicherung des Schullebens betrachtet wurde, vermittelte ihr von Anfang an auch die Schulgemeinschaft. Rektor Stephan Becker verband die Begrüßung mit einer privaten Einladung in den Familien- und Kollegenkreis. Mit Senta Schässburger, die eine der zweiten Klassen unterrichtet, stand ihr zudem eine Betreuungslehrerin zur Seite, die sie während des Weiterbildungsjahres begleitete. »Ich habe mich vom ersten Tag an sehr gut aufgehoben gefühlt«, sagt auch Sapitri Apriliati. Ein Rundgang durch alle Klassen in den ersten Wochen nach ihrer Ankunft gab ihr die Gelegenheit, sich selbst vorzustellen und die Schülerinnen und Schüler kennenzulernen. Bei ihnen konnte sie vor allem mit Bildern von Tieren punkten, die hierzulande wenig bekannt sind etwa den drachenartigen Komodowaran, den es nur in Indonesien gibt. Gemeinsam mit Senta Schässburger entschied sie anschließend, in einer der zweiten Klassen das Märchenprojekt durchzuführen mit einem Auftritt in einer Schulversammlung vor den Sommerferien als krönendem Abschluss. In den Unterrichtsstunden, in denen diese Präsentation vorbereitet wurde, konnte sie Methoden ausprobieren, die ihr bislang weniger vertraut waren. Dazu gehörte etwa der Erzählkreis, bei dem die Schülerinnen und Schüler sich eigene Märchen ausdenken, indem sie Sätze nach und nach vervollständigen. Neu war zudem die Arbeit an Lernstationen, der sie einiges abgewinnen kann: »Damit kann ich eine Klasse viel differenzierter unterrichten, wenn nicht alle das gleiche Lerntempo haben«, hat sie festgestellt. Doch auch Senta Schässburger hat in der Zusammenarbeit mit der Gastlehrerin ihren Horizont erweitern können. Gerade die Phasen, in denen Sapitri Apriliati alleine vor der Klasse stand, während sie selbst die Rolle einer Beobachterin einnahm, hätten ihr Hinweise für die eigene Arbeit gegeben. »In solchen Situationen, in denen die Augen der Kinder ganz auf Frau Apriliati gerichtet waren, konnte ich viel genauer wahrnehmen, was in der Klasse passiert. Das ermöglicht anschließend ein besseres Feedback an die Schülerinnen und Schüler.« Weiterbildung nicht nur im Klassenzimmer Möglichkeiten zur Weiterbildung gab es allerdings auch außerhalb des Klassenzimmers. So begleitete Sapitri Apriliati Schülerinnen und Schüler der vierten Jahrgangsstufe beim Besuch der Partnerschule in Biéville-Beuville, einer Gemeinde in der Normandie, mit der Margetshöchheim seit vielen Jahren verbunden ist. Außerdem konnte sie als Gasthörerin Seminare am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik der Universität Würzburg besuchen, etwa zur Didaktik oder zum DaF-Unterricht. Sogar die Gelegenheit, in eine weiterführende Schule hineinzuschauen, bot sich. Das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium im nahen Schweinfurt pflegt seit vielen Jahren eine Partnerschaft mit »ihrer« Heimatschule. Der Besuch einer Schülergruppe aus Jakarta war somit eine gute Gelegenheit, die Klassen und ihre Lehrkräfte während des Austauschprogramms zu unterstützen. Und weil das Weiterbildungsprogramm auch die landeskundlichen Kenntnisse fördern soll, ging Sapitri Apriliati in den Ferien selbst auf Entdeckungsreise durch Deutschland. Geholfen haben ihr dabei Kontakte aus ihrer Studienzeit, vor allem aber das Netzwerk der anderen Teilnehmenden am Weiterbildungsprogramm. »Wir sind ja über das ganze Land verteilt«, sagt sie. Rund 30 Deutschlehrkräfte von Schulen im Ausland kommen jedes Jahr mit einem Stipendium oder Arbeitsvertrag des Weiterbildungsprogramms nach Deutschland. Sie hospitieren und unterrichten zwölf Monate lang an einer Gastschule und haben die Möglichkeit, das Bildungssystem und den Alltag kennenzulernen. Weitere Informationen www.kmk-pad.org/wbp Schulleiter Stephan Becker ist denn auch voll des Lobes über die Kollegin auf Zeit. »Es war ganz selbstverständlich, dass Frau Apriliati zur Schule gehört«, sagt er. Die gelungene Integration verdankt sich allerdings auch dem großen Erfahrungsschatz, der in Margetshöchheim inzwischen vorliegt. Seit fast 25 Jahren nimmt die Schule regelmäßig eine Lehrkraft aus dem Weiterbildungsprogramm auf zumeist aus Mittel- und Südamerika, aber ebenso Russland, der Ukraine oder diesmal Indonesien. Den Aufwand, der mit der Betreuung verbunden sein kann, sieht Stephan Becker gleich mehrfach aufgewogen. »Die Gastlehrkräfte bringen unseren Schülerinnen und Schülern eine andere Kultur nahe und tragen so dazu bei, dass sie offener werden und sich mehr für das interessieren, was um sie herum geschieht«, hat er beobachten können. Einen Wert sieht er auch darin, für die eigene Arbeit neue Impulse zu erhalten. »Wir lernen selbst dazu, wenn wir uns über unterschiedliche pädagogische Zugänge austauschen und unsere Gewohnheiten hinterfragen.« Nicht zu unterschätzen sei zudem die Wirkung auf das dörfliche Umfeld: »Viele Eltern nehmen wahr, dass die Schule sich öffnet und andere Kulturen als etwas Selbstverständliches betrachtet werden«, sagt Stephan Becker. Wichtig sei allerdings, die so gewachsenen Beziehungen weiter zu pflegen, wenn die Gastlehrkräfte in ihre Heimat zurückgekehrt sind. »Kürzlich hat uns sogar eine ehemalige Kollegin aus Südamerika besucht, die zu einer Feier nach Deutschland eingeladen war«, berichtet er. Wer weiß: Vielleicht schaut Sapitri Apriliati in einigen Jahren wieder einmal vorbei auch um zu erfahren, was aus ihren Schülerinnen und Schülern der Klasse 2b geworden ist. 32

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