austausch bildet vom Beruf des Lehrers zu bekommen. Soweit kam es dann zwar nicht. Als ich später aber noch mal als Universitätslektor für den DAAD einige Jahre in Rennes tätig war, konnte ich in der Lehre auf vieles zurückgreifen, was ich am Lycée Jean de la Fontaine als Fremdsprachenassistent gelernt hatte. Abgesehen davon: Worin sahen Sie die Vorzüge des Programms? Ich konnte mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Mir war immer klar, dass ich nach dem Grundstudium für einige Zeit ins Ausland gehen wollte. Die Entscheidung für Frankreich lag nahe, weil ich mich auf die deutsch-französischen Beziehungen spezialisieren wollte. Dass ich nach Paris vermittelt wurde, war für mich als Historiker von doppelter Bedeutung, weil an der Sorbonne Professoren lehrten, die angesehene Experten auf diesem Gebiet waren. Ich wollte zudem in die Alltagssprache eintauchen, nachdem das Studium ein eher literarisches Französisch vermittelt hatte. Hinzu kam schließlich das schon damals ordentliche Stipendium, das für mich als BAföG-Bezieher eine wichtige Rolle spielte. Womit haben Sie versucht, die Schülerinnen und Schüler für Deutsch zu begeistern? Die Lernkultur in Frankreich ist ja doch eine andere. In Frankreich war der Unterricht damals sehr verschult. Insbesondere die »classes préparatoires«, die auf die Aufnahme an eine »grande école« vorbereiten sollen, waren stark von Leistungsdenken geprägt. Deutsch als Fremdsprache spielte dabei zudem die Rolle, die hierzulande Latein hat: Da wurde gesiebt. Das Fach galt daher als anspruchsvoll und schwierig. In den AGs, die ich außerhalb des Unterrichts organisieren durfte, ging es entspannter zu. Wichtig war mir dabei, eher spielerisch Literatur und Landeskunde zu vermitteln und als sympathischer Vertreter meiner Sprache und Kultur rüberzukommen. Das Bild von Deutschland war ja stark von Stereotypen geprägt. Zum Beispiel? Ich bin gebürtiger Trierer, habe fast immer im Rheinland gelebt, mein Abitur aber in Baden-Württemberg gemacht. Die Vielfalt in unserer föderalen Struktur war mir deshalb sehr bewusst. In Frankreich allerdings wurden Deutsche oft auf bayerische Stereotype reduziert. In diese Schublade wollte ich mich aber nicht stecken lassen und dem Bild entgegenwirken, alle Deutschen würden Bier trinken und Lederhosen tragen. Haben Sie Anfeindungen als Deutscher erlebt? Überhaupt nicht. Als es um die Vorbereitung einer Klassenfahrt nach Bayern ging, konnte ich allerdings erleben, wie sehr die jüngere deutsche Geschichte nachwirkte. An der Schule gab es auch jüdische Schülerinnen und Schüler. Ich erinnere mich, dass bei einigen Eltern der Besuch in München nicht unumstritten war. In ihrer Erinnerung war nämlich das Attentat während der Olympischen Spiele von 1972 noch präsent, das hierzulande kaum im kollektiven Bewusstsein verankert ist. Neu war für mich auch die Erfahrung, wie selbstverständlich sich jüdisches Leben in der Öffentlichkeit abspielte: Ich wohnte im ›Marais‹, dem alten jüdischen Viertel von Paris. Orthodoxe Juden, koschere Metzgereien, eine Synagoge – all das erlebte ich zum ersten Mal als Teil einer Alltagskultur. Anfangs hat mich das offen gesagt ein wenig überfordert und ich war darum bemüht, nicht als Deutscher aufzufallen. Bis ich irgendwann merkte, dass das in der Touristenstadt Paris gar nicht weiter interessierte. Was haben Sie für sich selbst gelernt in der Zeit als Fremdsprachenassistent? Durch das Schuljahr in Frankreich habe ich einen viel realistischeren Einblick in die Kultur und ein vertieftes Verständnis von der Mentalität unserer Nachbarn bekommen. Das lässt sich in keinem Lehrbuch nachlesen. Dazu muss man selbst in den Alltag eines Landes eintauchen. Ein gutes Beispiel ist das Bildungssystem. Die Vorstellung, dass am gleichen Tag zur gleichen Uhrzeit in ganz Frankreich die gleiche Abiturprüfung abgelegt wird, ist für Menschen aus einem föderalen Bildungssystem sehr gewöhnungsbedürftig. Auch die Problematik der »grandes écoles« habe ich in diesem Jahr erst verstanden: Ursprünglich sollten diese außeruniversitären Hochschulen durch eine Auswahl der Besten Chancengleichheit herstellen. In Wirklichkeit tragen sie aber eher zur Reproduktion einer großbürgerlichen Elite bei. Das hat vielfältige Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft. 44
45 Mit Schülerinnen und Schülern arbeiten Sie heute noch – im Rahmen der politischen Bildungsarbeit des Landtags mit seinen zahlreichen Angeboten als außerschulischer Lernort. Wie erreichen Sie Zielgruppen, die als »politikfern« gelten? Wir müssen vermeiden, in Schubladen zu denken. Gymnasiasten zum Beispiel sind nicht automatisch interessiertere Teilnehmer an außerschulischen Bildungsangeboten. Auch in dieser Zielgruppe gibt es große Unterschiede. Die Schülergruppen anderer Schularten dagegen sind oft viel unbefangener im Umgang mit Politikerinnen und Politikern und bereit, ihre Forderungen und Meinungen zu artikulieren. Wichtig ist mir deshalb, dass wir in unserer Arbeit allen Schülerinnen und Schülern, ungeachtet ihres Bildungshintergrundes, offen begegnen, nicht zu viel voraussetzen und ihnen stattdessen verdeutlichen, dass sie bei uns über Themen diskutieren können, die für ihr Leben und ihren Alltag Bedeutung haben – und dass wir sie mit denen in Kontakt bringen, die im Landtag darüber entscheiden. Unsere Angebote sind eine Einladung zum Dialog, sich einzumischen und einzubringen. Es gibt keine Gruppe, die uns nicht willkommen wäre oder für die ein Landtagsbesuch zu anspruchsvoll ist. Wer zeigt größere Zurückhaltung im Umgang miteinander – Schülerinnen und Schüler gegenüber Abgeordneten? Oder umgekehrt? Vonseiten der Jugendlichen mag die Scheu gelegentlich etwas größer sein als unter den Abgeordneten. Dem versuchen wir entgegenzuwirken, indem wir junge Menschen befähigen, mit Politikern in einen Dialog auf Augenhöhe einzutreten. Wir unterstützen sie deshalb auch dabei, dass sie die Gespräche selbst organisieren und moderieren – und kritische Fragen stellen, die ihre Zukunft betreffen. Wie hat sich Ihre Arbeit durch die Wahlerfolge populistischer Parteien geändert? Der Ton im Parlament ist rauer geworden, die Konflikte haben zugenommen. Diese Polarisierung wirkt sich auch auf unsere Bildungsarbeit aus. Als Landtagsverwaltung sind wir allen Fraktionen gegenüber zu Neutralität verpflichtet. Umso wichtiger ist es, Veranstaltungen oder Diskussionsrunden, an denen Landtagsabgeordnete und Jugendliche teilnehmen, sorgfältig vor- und nachzubereiten, damit ein kritischer Dialog möglich ist, in dem sich alle an die gemeinsamen demokratischen Spielregeln halten. Gleichzeitig erleben wir aber auch eine Politisierung gerade junger Menschen. Denken Sie nur an die Fridays-for-Future-Bewegung. Sowohl die Polarisierung als auch Politisierung machen unsere Arbeit anspruchsvoller. Es freut mich daher, dass der Stellenwert von politischer Bildung in den letzten Jahren insgesamt gestiegen ist. Die politische Bildungsarbeit war von den Einschränkungen während der Coronapandemie stark betroffen. Lassen sich Workshops, Führungen und Diskussionen einfach so ins Netz verlegen? Die Antwort lautet Ja und Nein. Auch wir haben anfangs experimentiert. Mittlerweile haben wir sehr gute Erfahrungen mit vielfältigen digitalen Formaten gemacht. Allerdings stellt uns das vor eine besondere Herausforderung. Der Erfolg vieler unserer Programme lag nicht zuletzt darin, dass wir mit Schüler- und Jugendgruppen auch im Plenarsaal gearbeitet haben – also der Herzkammer unserer Demokratie. Die Wirkung solcher Besuche auf Kinder und Jugendliche darf man nicht unterschätzen. Sie geht in digitalen Formaten etwas verloren. Und doch legen wir großen Wert auf solche digitalen Angebote, um gerade in diesen Krisenzeiten jungen Menschen zu zeigen, dass wir mit ihnen im Dialog bleiben wollen. Zur Person Andreas Jaeger, Jahrgang 1963, studierte in Bonn Geschichte, Poli tikwissenschaft, Französisch sowie Deutsch als Fremdsprache und ist seit 2000 Bildungsreferent in der Verwaltung des Landtags Rheinland-Pfalz. Dort leitet er das Referat »Politische Bildung I« und ist stellvertretender Leiter der Abteilung Kommunikation. 1986/87 war er Fremdsprachenassistent in Paris.
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