Forum austausch bildet thomas spielkamp: Im Schulbereich haben wir uns allerdings schwergetan, den Namen COMENIUS aufzugeben. Ich erinnere mich noch daran, bei einer Expertenanhörung im Europäischen Parlament damals eine flammende Rede für die Beibehaltung der unterschiedlichen Programmnamen gehalten zu haben. Im Nachhinein aber war die Zusammenführung aller Bildungsbereiche unter der Marke Erasmus+ richtig: Kein anderes Förderprogramm in Europa ist bekannter und positiver besetzt. Nie hätte es die finanziellen Zuwächse für die laufende Programmgeneration gegeben. Wahr ist aber auch, dass noch nicht allen bewusst ist, dass Erasmus+ jetzt auch für den Schulbereich steht. Dass sich das ändert, ist eine Frage der Zeit. Und da das »Plus« keinen erkennbaren Mehrwert hat, könnte es gerne entfallen. hans-georg wicke: Wir sind als Jugendbereich erst seit 2014 mit dabei und waren vorher als selbstständige Programme aktiv. Durch die Zusammenführung ist die öffentliche und politische Wahrnehmung des Jugendbereichs zweifelsohne gestiegen. Positiv ist auch die erhebliche Steigerung an Fördermitteln. Im Arbeitsfeld selbst wird der spezifische Charakter des Jugendbereichs aber nur schwer wahrgenommen. Aufgrund von allgemeingültigeren Regeln lassen sich die Jugendprogramme nur mühsam jugendspezifisch umsetzen. Die Ansprache unserer Zielgruppen ist damit schwieriger geworden und niedrigschwellige Angebote können nicht ohne Weiteres gewährleistet werden. Erasmus steht zunächst für den Austausch von Studierenden. Das Plus symbolisiert aber, dass Erasmus mehr als den Hochschulbereich umfasst. 2028 wird das Programm 14 Jahre lang seine eigene positive Geschichte erzählt und sich als Marke gefestigt haben. Auf dieses »Plus« zu verzichten, wäre ein Rückschritt. stephan geifes: Dem Hochschulbereich ist die Änderung leichter gefallen, denn das Akronym ERASMUS »Die Zusammenführung der Programme war ein genialer Schachzug und ein schönes Beispiel, wie zwei gute Impulse etwas noch Besseres schaffen.« Klaus Fahle »Europa durch Austausch und das Eintauchen in die Kultur des Gastlandes zu erfahren, bleibt für mich der Kern des Programms. Dies wird weiter engagierte EU-Bürgerinnen und -Bürger zu Gestaltern unserer Zukunft machen.« Dr. Stephan Geifes begleitet uns bereits von Anfang an. Wir empfinden die Bündelung der verschiedenen Hochschulprogramme unter einem Namen dennoch als einen Gewinn. Zugleich wird das »Plus« immer auch als Zeichen für neue Möglichkeiten der Kooperation wahrgenommen, etwa bei der internationalen Öffnung 2014 und Ausweitung 2021. Auch wenn es uns in der deutschen Orthografie bei Komposita wie »Erasmus+- Programm« gelegentlich vor Herausforderungen stellt, möchte ich das »Plus« gerne behalten. In allen Programmgenerationen spielte die Idee einer europäischen Bürgerschaft eine wichtige Rolle. Ein Blick auf aktuelle Entwicklungen lässt jedoch Zweifel aufkommen, wie es um diese Idee steht. Was heißt das für die Zukunft des Erasmus-Programms? stephan geifes: Europa durch Austausch und das Eintauchen in die Kultur des Gastlandes zu erfahren, bleibt für mich der Kern des Programms. Dies hat engagierte EU-Bürgerinnen und -Bürger zu Gestaltern unserer Zukunft gemacht und wird es auch weiterhin tun. Dazu tragen auch Programme bei, in denen sich Erasmus-Studierende engagieren. In Deutschland tun das seit 30 Jahren die »Lokalen Erasmus- Initiativen«, in denen ehemalige deutsche Erasmus-Studierende aktuelle ausländische Studierende während ihres Aufenthaltes betreuen. Die Ehemaligen bleiben dadurch im interkulturellen und intergenerationellen Austausch und die aktuell Studierenden erfahren Deutschland noch authentischer. Auch die Initiative »Europa macht Schule« verfolgt seit 15 Jahren diesen Gedanken des interkulturellen Austauschs: Ausländische Erasmus-Studierende gehen in Deutschland an Schulen und stellen dort ihr Heimatland vor. Mit »Back to School« fördern wir neuerdings auch Projekte zurückkehrender Studierender, die an Schulen über ihre Erfahrungen berichten. Diese Initiativen vermitteln nicht nur Wissen und erweitern 32
Forum 33 Fotos: Susanne Reich/DAAD; NA beim BIBB; PAD/Marcus Gloger; JfE Horizonte, sondern sie befördern eben auch das Engagement ehemaliger Teilnehmender und geben ihnen Gelegenheit, über ihre Erfahrungen zu reflektieren sowie sich mit Europa auseinanderzusetzen. Dieses Engagement macht den Erasmus-Aufenthalt emotional, intellektuell und interkulturell nachhaltiger. hans-georg wicke: Europäischen Bürgersinn erreicht man nicht einfach damit, dass die Zahl junger Menschen, die an Maßnahmen grenzüberschreitender Lernmobilität teilnehmen, gesteigert wird. Darum war und ist es richtig, Formate zu entwickeln, die neben der Mobilität sowohl die Zusammenarbeit als auch das gemeinsame Engagement in den Vordergrund stellen. So ermöglichen Jugendpartizipations- und Solidaritätsprojekte ganz andere Formen, die Jugendprogramme zu nutzen und sich als junger Mensch unmittelbar zu engagieren. Seit 2021 ist zudem DiscoverEU, das 18-Jährigen die Möglichkeit gibt, Europa zu entdecken, ein Förderangebot von Erasmus+ Jugend. Diese Verbindung von non-formalem und informellem Lernen ist richtig, muss aber gestaltet werden. Ergänzend dazu sollte auf neue Formate mit Blick auf Nachhaltigkeit gesetzt und digitale Möglichkeiten, wie sie Blended Learning ermöglicht, sollten genutzt werden. Und schließlich geht es darum, neben der individuellen Lernerfahrung auch auf der Ebene von Organisationen und Systemen zu wirken und so mehr Europa in den Jugendbereich zu bringen. Mehr denn je gilt es, das Feld der Jugendarbeit und Jugendpolitik in Europa gemeinsam zu gestalten und mit europäischen Impulsen zu bereichern. thomas spielkamp: Der Begriff der »europäischen Bürgerschaft« ist ein abstrakter Begriff, den Erasmus+ in der Praxis sehr gut einlöst. Junge Menschen kommen heute mit diesem Programm einfach und leicht ins europäische Ausland. Und es ist bemerkenswert, wie eng und lebendig die Kontakte unter den Schulen in Europa geworden sind. Die Menschen, die in solchen Projekten zusammengearbeitet haben, verstehen sich tatsächlich als Bürgerinnen und Bürger Europas. Insofern liegt in der eigenen europäischen Projekterfahrung vor Ort die Umsetzung des »Junge Menschen kommen heute mit diesem Pro - gramm einfach und leicht ins europäische Ausland. Und es ist bemerkenswert, wie eng und lebendig die Kontakte unter den Schulen in Europa geworden sind.« Dr. Thomas Spielkamp abstrakten Begriffs der »europäischen Bürgerschaft«. Die aktuelle Entwicklung zeigt allerdings auch, dass dieses Bewusstsein von jeder Generation neu entwickelt werden muss. Eine verlässliche finanzielle Ausstattung der Nachfolgeprogramme sollte also dauerhaft sichergestellt sein. klaus fahle: Die europä - ischen Bildungsprogramme und Erasmus+ waren immer beides: Programme für europäischen Zusammenhalt und europäische Werte – und Programme, die gezielt die Qualität von Bildung verbessern sollen. Welches Narrativ überwiegt, ist eine Frage der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. In den ersten Jahren habe ich erbitterte inhaltliche Auseinandersetzungen darüber erlebt, was die EU fördern darf. In der jüngsten Vergangenheit sehen wir, dass es in Europa viele zentrifugale Kräfte gibt, da spielt Erasmus+ eine andere Rolle und die Förderung des europäischen Zusammenhalts wird wichtiger. Gerade für Letzteres brauchen wir einen quantitativen Ausbau des Programms, also »more of the same«. Zu den Personen Ein Programm – und vier Nationale Agenturen in Deutschland, die es umsetzen: Auf die Fragen antworten die Leiter (v.l.n.r.) Klaus Fahle (Berufliche Bildung und Erwachsenenbildung), Dr. Stephan Geifes (Hochschule), Dr. Thomas Spielkamp (Schule) und Hans-Georg Wicke (Jugend).
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