Made in Germany austausch bildet wo sie ihre Deutschkenntnisse unter Beweis stellen mussten – unter anderem in einem Aufsatz über den Fernsehturm in Hamburg. Dass Alexis Ngatcha schließlich zu den fünf Besten gehörte, erfüllte seinen Schulleiter mit derart großem Stolz, dass er nach seiner Rückkehr eigens eine Versammlung für die 2000 Schülerinnen und Schüler einberief. Intensive Erfahrungen Nach einer holprigen Anreise – in Rom verpasste die Kameruner Gruppe beim Umstieg ihren Flieger und musste eine Übernachtung einlegen – konnte er dann im Sommer 1973 mit anderen Preisträgerinnen und Preisträgern zunächst München, Hamburg und den Westteil Berlins erkunden. Anschließend ging es drei Wochen nach Kassel, wo neben vertieftem Deutschunterricht Kultur und Sport auf dem Freizeitprogramm standen. Als »intensive Erfahrung« blieb ihm auch seine Gastfamilie in Erinnerung, mit der er bis heute in Verbindung steht. Zweimal besuchte sein Gastvater ihn später sogar in seinem Heimatdorf in Kamerun, was Alexis Ngatcha, der ihn dabei als Gästeführer und Dolmetscher begleitete, den Ruf eingetragen hat, »ein bunter Hund« zu sein. Die Brücken zu Deutschland waren damit geschlagen und seine berufliche Laufbahn vorgezeichnet: Nach dem Studium der Fächer Germanistik, Erziehungswissenschaften und Geschichte und erfolgreichem Staatsexamen begann er selbst, Deutsch in Kamerun zu unterrichten. Doch ob »Zufall oder Schicksal«, wie er heute sagt: Eine unerwartete Bekanntschaft sorgte für eine Wendung. Während einer Fortbildung am Goethe-Institut lernte er einen Lehrer aus Hamburg kennen, dem er von seinem Promotionsvorhaben auf dem Gebiet der Sprachlehrforschung erzählte, für das er einen »Doktorvater« suche. Über ihn kam er mit Professor Hans-Jürgen Krumm von der dortigen Universität in Kontakt, der als Experte auf diesem Gebiet gilt. Ein mehrjähriges Stipendium des DAAD ermöglichte es ihm, an Krumms Lehrstuhl die Arbeit anzufertigen. Nebenbei fand er Zeit, sich am Zentrum für Hochschuldidaktik fortzubilden. Später folgte die Habilitation, in der er sich mit dem Deutschunterricht in seinem Heimatland als Erbe des Kolonialismus und in seiner Funktion einer postkolonialen Ära befasste. In seiner Arbeit untersuchte er die Rolle und Funktion des Deutschunterrichts in postkolonialen Zeiten, der stärker aus der Innensicht der dortigen Gesellschaften wahrgenommen werden sollte. Das Studienfach Germanistik sollte sich deshalb an den Prozessen der Gegenwart orientieren und der Deutschunterricht in afrikanischen Ländern sollte politische, wirtschaftliche und soziale Probleme aufgreifen. »Es ist ein zu kurz greifendes Verständnis von Deutschunterricht, wenn man ihn lediglich auf die Vermittlung sprachlicher Fertigkeiten reduzieren würde. Aktuelle Themen in den Unterrichtsmaterialien könnten daher zur Dekonstruktion der bestehenden Realität beitragen und damit Handlungsfähigkeit der Lernenden fördern«, sagt er. Akademische Wanderjahre Besonders in Erinnerung blieben Alexis Ngatcha aus seinen akademischen Wanderjahren zwischen Kamerun und Deutschland zwei Ereignisse: Im Juli 1991 konnte er »als einziger Afrikaner« an einer Diskussionsrunde teilnehmen, zu der der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker Stipendiatinnen und Stipendiaten in die Villa Hammerschmidt nach Bonn eingeladen hatte. Und zwei Jahre später wurde ihm die Ehre zuteil, auf der Internationalen Deutschlehrertagung in Leipzig den Plenarvortrag zu halten: »Als da 2300 Augenpaare auf mich gerichtet waren, bekam ich schon Gänsehaut«, sagt er. 22
Schülerinnen und Schüler unterwegs 23 Anderes Wetter, anderes Essen Aus dieser Zeit stammt auch sein Interesse an einem Forschungsfeld, das ihm bis heute ein wichtiges Anliegen ist: die Typologie individueller Lernstrategien. »Schlechten Schülerinnen und Schülern wird zumeist vorgeworfen, sie wollten im Unterricht nicht mitmachen. Oft aber haben sich Lehrkräfte mit den individuellen Prozessen des Lernens unzureichend vertraut gemacht. Guter Unterricht sollte Schülerinnen und Schülern Hilfe geben, damit sie je nach Typ effektiver lernen. Lehrkräfte müssten deshalb besser in der Lage sein, Lerntypen im Klassenzimmer genauer zu identifizieren«, fasst er seinen Ansatz zusammen. Dazu aber müssten sich Lehrkräfte stärker mit den Erkenntnissen der Hirnforschung befassen. Für solche diagnostischen Kompetenzen setzt er sich in der Lehrerausbildung und im Vorstand des Deutschlehrerverbandes ein. Die Sprache genießt nach wie vor hohes Ansehen, was die Zahl der Deutschlernenden unterstreicht. Rund 250.000 Schülerinnen und Schüler soll es nach aktuellem Stand an Sekundarschulen geben. Und doch muss die Fremdsprache sich immer wieder behaupten: »Klassen können mit bis zu 100 Schülerinnen und Schülern sehr groß sein und vielen Eltern fehlt es an Geld für Bücher«, berichtet Alexis Ngatcha. Hinzu käme die Konkurrenz durch andere Sprachen, insbesondere Chinesisch. Für umso wichtiger hält er es deshalb, Schülerinnen und Schüler frühzeitig für Deutsch zu begeistern. Ein Schritt in diese Richtung könnte sein, an Schulen mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt verstärkt bilingualen Unterricht anzubieten. »Dem Deutschunterricht würden sicher weniger Schülerinnen und Schüler verloren gehen, wenn sie damit die Gelegenheit hätten, weiterhin ihre Sprachkenntnisse anzuwenden.« Hoffnungen setzt er auch in Fremdsprachenassistenzkräfte, von denen er gerne mehr nach Kamerun vermitteln würde. »Für Schülerinnen und Schüler ist besonders motivierend, wenn sie Gelegenheit haben, mit Muttersprachlern zu sprechen«, sagt er. Dafür sorgt, wenngleich in bescheidenem Umfang, sicher auch das Internationale Preisträgerprogramm, wenn es in Postcoronazeiten fortgesetzt wird. Und damit künftige Teilnehmerinnen und Teilnehmer bestmöglich davon profitieren, gibt Alexis Ngatcha ihnen gerne als Empfehlung mit: Bei allen positiven Bildern über das Land, sagt er, sollte ihnen doch auch bewusst sein, »dass in Deutschland nicht Milch und Honig fließt.« Und wer den Koffer packt, »sollte sein eigenes Land nicht mitnehmen«, sondern sich stattdessen »darauf einlassen, dass das Essen hier anders schmeckt und das Wetter anders ist«. Denn nur, wer möglichst unvoreingenommen auf Reisen gehe, könne erkennen, dass es anderswo anders funktioniert. Zur Person Heimatland Preisträger 1973 Heutige Position Lieblingsredewendung Kamerun Professor für Didaktik »Deutsch als Fremdsprache« an der École Normale Supérieure der Universität Yaoundé »Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.«
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