austausch bildet MEITHEAL Welche Aufgaben haben Sie an der Schule übernommen? Der Unterricht war stark auf Prüfungen getrimmt. Ein ordentlicher Teil meiner Aufgaben bestand deshalb darin, Prüfungsformate wie zum Beispiel das Verfassen von Briefen oder Gesprächssituationen einzuüben. Ich war allerdings in der dankbaren Situation, dass ich zugleich als eine Art Landeskundeonkel betrachtet wurde. Wenn ich in die Klassen kam, war den Mädchen klar: Jetzt geht es nicht nur um prüfungsrelevanten Stoff. Der Unterricht mit mir war für sie eine Möglichkeit zum Eskapismus. Womit haben Sie die Schülerinnen motivieren können? Gut kamen Themen rund um »Urlaub« und »Ferien« an. Deutschland hat ja nicht nur Küsten und Meer, sondern auch Berge, in denen Wintersportarten gepflegt werden, die in Irland kaum jemand betreibt. Der größte Hit aber war das Adventskalenderbasteln. Da durften alle ein Riesenposter mit 24 Türchen gestalten, zu denen ich Lebkuchen und Zimtsterne beigesteuert habe. Dazu gab es dann eine Verkostung mit Glühwein – alkoholfreiem natürlich. Als Berliner haben Sie Ihre Klassen und das Kollegium aber sicher auch auf den Geschmack von Eisbein und Currywurst gebracht? Kulinarische Traditionen waren tatsächlich ein Thema im Unterricht, zumal solche, die in Irland weniger bekannt sind. Viel überraschender für die Schülerinnen war allerdings, dass der »Döner« in Berlin erfunden wurde, weshalb man in der Stadt an jeder Ecke eine Bude sieht. Es war auch ein wenig Lokalstolz dabei, wenn ich gesagt habe, dass der beste Kebab aus Berlin kommt. Abgesehen von den erweiterten Fremdsprachenkenntnissen: Was haben Sie selbst in Ihrer Zeit als Fremdsprachenassistent gelernt? Ich würde sagen: Autorität im Umgang mit Menschen, die von mir etwas lernen sollen. Mit Anfang 20 strahlt man die nicht automatisch aus. Vor einer Schulklasse ist sie aber in gewissem Maße erforderlich. Dazu kommt eine kreativere Form des Denkens. Mein Fokus auf landeskundlichen Themen hatte nämlich zur Folge, dass ich mich nicht hinter einem Lehrbuch verstecken konnte, sondern mir immer wieder Neues einfallen lassen musste. In der Kulturarbeit unserer Botschaft, die auch von ihrer Ideenvielfalt lebt, kommt mir das heute zugute. Interkulturelles Lernen kommt oft nicht ohne Fettnäpfchen aus. In welches sind Sie getreten? Ich erinnere mich eher an eine kuriose Situation, als ich einmal den Hausmeister der Schule mit, so empfand ich es im ersten Augenblick, Schmutz auf seiner Stirn durchs Foyer laufen sah. Ich war kurz davor, ihn dezent darauf anzusprechen, als mein Blick durch den anderen Teil der Eingangshalle schweifte, in dem 150 Mädchen ebenfalls mit einem Aschekreuz auf der Stirn standen. Da wurde mir klar: Es war Aschermittwoch – und ich war der Einzige, der diese Tradition nicht kannte und deshalb aus der Reihe tanzte. Meine Unwissenheit machte mich also zum Außenseiter an diesem Tag, auch wenn ich zunächst dachte, dass es genau umgekehrt sei und der Hausmeister sich abweichend verhalte. Welches Bild von Irland haben Sie durch die Alltagserfahrungen korrigiert? Mir ist vor allem deutlich geworden, welches Gefälle zwischen Dublin als Standort für Hightech-Konzerne und ländlichen Gegenden etwa an der Westküste besteht, die einen deutlich niedrigeren Lebensstandard aufweisen. Einem irischen Bekannten, mit dem ich einmal einen Ausflug in einen Nationalpark unternommen habe, war es offensichtlich peinlich, als als er mich hinterher fragte, ob ich ihm fünf Euro zu den Spritkosten zugeben kann – während in Dublin die Menschen fünf Euro für einen Kaffee ausgeben. 40
41 In Irland konnten Sie auch Ihr Gälisch erweitern. Von welchem Wort würden Sie sich wünschen, dass es hierzulande bekannter wäre? Der irische Regierungschef heißt nicht Premierminister, sondern »Taoiseach«, was dem Ursprung nach »Häuptling« bedeutet. Es wäre schön, wenn zumindest im politischen Berlin mehr Menschen dieses Wort kennen würden. Denn ab und zu erreicht uns in der Botschaft tatsächlich die Anfrage, wie denn der Vornamen von »Herrn Taoiseach« laute. Oder das Wort »Meitheal«. Es beschreibt die kollektive Anstrengung einer Dorfgemeinschaft beim Einfahren der Ernte im Herbst, weil alle wissen, dass sie nur dann gut über den Winter kommen, wenn es genug Getreide und Heu in der Scheune gibt. In Zeiten von Inflation und Krieg in Europa ist ein solches Konzept durchaus etwas, woran man sich erinnern kann. Seit 2021 sind Sie wieder in Irland – nunmehr als Mitarbeiter der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft. Wie erklären Sie heute jungen Irinnen und Iren, weshalb es sich lohnen könnte, Deutsch zu lernen? Als Berliner bin ich vielleicht etwas voreingenommen, aber gerade das Subkulturelle dieser Stadt, in der es sich im Vergleich zu anderen Metropolen immer noch einigermaßen günstig leben lässt, zieht nach wie vor. Auch wenn wir als Botschaft nicht für das Marketing der Klubszene zuständig sind, bemühen wir uns doch, Deutschland durch Veranstaltungen wie den Karneval der Kulturen oder den Christopher Street Day als moderne europäische Kulturnation darzustellen. Das heißt allerdings nicht, dass wir Bewährtes nicht fortsetzen würden: Heinrich Böll etwa ist in Irland nach wie vor ein Zugpferd, mit dem auch jüngere Generationen erreicht werden können. Anlässlich des 50. Jahrestags zur Verleihung des Literaturnobelpreises an Böll und des 100. Jahrestags der Erstausgabe der Ulysses von James Joyce haben wir deshalb eine Veranstaltung über diese Persönlichkeiten des Literaturbetriebs, die über Irland geschrieben haben, organisiert. Es sind aber auch die harten Wahrheiten des Lebens, die wir ebenfalls nennen. Dazu gehört, dass gut ausgebildete Menschen mit Deutschkenntnissen in einigen Branchen sehr gute berufliche Perspektiven haben. Das müssen nicht zwingend Stellen in Deutschland sein. Die Handelskammer hier in Dublin sagt uns immer wieder, wie viele Stellen sie hier vor Ort besetzen könne bei Firmen, die Handelsbeziehungen mit Deutschland haben. Etwas aus dem Rahmen fiel unlängst eine Veranstaltung, bei der »Stolpersteine« für irische Opfer des Holocaust verlegt wurden. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Initiative? In Dublin gibt es seit Längerem eine Organisation, die sich mit dem Holocaustgedenken befasst und im Bildungsbereich aktiv ist. Sie hatte auch die Geschichte einiger Familien ermittelt, deren Angehörige teilweise irische Staatsbürger waren, die aber in Ländern wie Frankreich und Litauen lebten und von dort aus in die Vernichtungslager deportiert wurden. Das Projekt mit den Stolpersteinen war etwas ins Stocken geraten, sodass wir als Botschaft unsere Unterstützung angeboten und uns in Berlin für Fördermittel eingesetzt haben. Tatsächlich sind dann Anfang Juni 2022 sechs Stolpersteine verlegt worden – vor einer Schule, die eines der Opfer als Mädchen besucht hatte. Sie kennen Irland aus vielen Perspektiven: Was wäre Ihr Geheimtipp für künftige Fremd sprachenassistenzkräfte? Meine schönsten Erlebnisse verdanke ich Veranstaltungen, die Iren vielleicht gewöhnlich erscheinen und zu denen ich einfach mitgenommen wurde. Dazu gehörten Abende in ländlichen Pubs, in denen es großartige Kleinkunst zu sehen gab, aber auch Spiele der Gaelic Athletic Association mit 80 000 Besuchern oder die »National Ploughing Championship«, wo allerlei landwirtschaftliches Gerät vorgeführt wird und Nutztiere präsentiert werden. Ich empfehle, die Fühler in möglichst viele Richtungen auszustrecken und sich gelegentlich treiben zu lassen. Es gibt für alle Interessen etwas. Zur Person Robert Henneberg, Jahrgang 1990, absolvierte nach einem Masterabschluss in Europäischen Sprachen die Ausbildung als Attaché im Auswärtigen Amt. Seit 2021 ist er Kulturreferent in der Deutschen Botschaft Dublin. 2013/14 war er Fremdsprachenassistent an der Loreto Secondary School in Wexford (Irland).
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