johannes-rau-stipendium Auf den Prüfstand gestellt Das Johannes-Rau-Stipendium wird an jüdische und arabische Israelis vergeben. Eine arabische Israelin fasst ihre Erfahrungen und Eindrücke zusammen. austausch bildet A ls das Programm für mich begann, war ich sowohl aufgeregt als auch besorgt, weil ich mich in eine unbekannte Umgebung begeben musste. Außerdem bin ich nicht besonders gut darin, Freundschaften zu schließen. Unerwartet für mich war mein erstes Gespräch im Zug mit den anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten aus Israel, von denen alle außer mir und zwei anderen jüdisch waren und meist aus dem Zentrum des Landes stammten. Denn sofort war ich mit Ansichten konfrontiert, die sich stark von meinen unterschieden. Diese Art von Auseinandersetzungen sollte sich während der gesamten Reise fortsetzen. Was ich für eine Chance hielt, etwas über die Deutschen zu lernen, erwies sich auch als eine Möglichkeit, mit einer Bevölkerungsgruppe meines Landes in Austausch zu kommen, mit der ich normalerweise keine solchen Diskussionen führen kann, da ich aus einer rein arabischen und muslimisch geprägten Stadt komme. 14
#NieWiederIstJetzt 15 Wie ich später herausfand, ging es ihnen genauso. Durch ihre oft lustigen Fragen erfuhr ich bald, wie wenig sie über das Leben der Araber im Land wissen. Zum ersten Mal erfuhr ich auch, was es wirklich heißt, eine Minderheit zu sein, was nicht unbedingt negativ gemeint ist. Mehr denn je hatte ich das Gefühl, es mir selbst schuldig zu sein, meine Meinung zu sagen. Ich musste mich dazu zwingen, alles zu hinterfragen, was ich als Person repräsentiere und wofür ich stehe – und lernen, es laut auszusprechen, von Angesicht zu Angesicht. Dieses Programm gab mir die Möglichkeit, alles, was ich bisher für selbstverständlich gehalten hatte, auf den Prüfstand zu stellen. Es machte mir klar, warum einige dieser Dinge von mir gesagt werden mussten. Denkwürdige Anblicke Als ich in Ingolstadt ankam, waren meine Gastgeberin und ihre Familie sehr gastfreundlich. Die Tatsache, dass wir in den vergangenen Monaten regelmäßig miteinander gechattet hatten, hat geholfen, meinen Aufenthalt dort sehr angenehm zu machen. Während der Woche habe ich viel über das deutsche Bildungssystem gelernt. Ich hatte erwartet, dass es aufgrund der Strenge, von der ich gehört hatte, sehr stressig sein würde. Es hat sich aber herausgestellt, dass es nur offizieller und viel angenehmer ist als an meiner Schule. Obwohl die Tage in Ingolstadt voller unvergesslicher Momente waren, verdanke ich die nachhaltigsten Eindrücke der zweiten Woche während unseres Aufenthalts in Berlin. Unser erstes Ziel, die Berliner Mauer, hielt einen der für mich denkwürdigsten Anblicke bereit, nämlich die Plattform auf der anderen Seite, auf der die Touristen standen und zusahen. Der Gedanke an diesen Ort ging mir zwei Wochen lang nicht mehr aus dem Kopf. Wann immer wir von anderen historischen Gräueltaten erfuhren, tauchte dieser Anblick in meinem Kopf auf und erinnerte mich daran, dass immer auch andere Menschen an solchen Orten waren und zusahen. Lehrreich und unterhaltsam Im Laufe der Woche lernten wir viele solcher Gräueltaten aus der Vergangenheit kennen – sei es aus der Nazizeit oder den Jahren nach dem Krieg. Die Art und Weise, wie wir in unserer Gruppe Diskussionen darüber geführt haben, hat mir sehr gefallen. Aber trotzdem waren meine Gedanken immer noch bei der Plattform. Denn ich hatte die ganze Zeit über die Befürchtung, dass wir, wenn wir angesichts dieses Gedenkens nur in Trauer schwelgen würden, dies auch ein Vorwand sein könnte, die Augen vor ähnlichen schrecklichen Taten zu verschließen, die aktuell auf der ganzen Welt verübt werden. Die Reise war jedoch noch aus einem anderen Grund unvergesslich: Die Gespräche in den Ministerien und Behörden waren sowohl lehrreich als auch unterhaltsam. Und obwohl der Besuch im Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten, in gewisser Weise das Außergewöhnlichste war, fand ich ihn am wenigsten interessant. Mein persönlicher Favorit war stattdessen der Besuch im Auswärtigen Amt, bei dem wir viel lernten und am meisten mit Offiziellen ins Gespräch kamen. Aber natürlich kann ich dies nicht schreiben, ohne das Konzert in der Berliner Philharmonie zu erwähnen. Es war atemberaubend, dieser Teil des Programms sollte sich nie ändern! A U S W Ä R T I G E S A M T
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