Fremdsprachenassistenzprogramm »Eine Stunde bis Piccadilly Circus« An diese Abschiedsworte nach einem Jahr als Fremdsprachenassistent erinnert sich Karsten Brill heute noch: »Danke schön, Sie werden einmal ein guter Lehrer«, gab ihm ein Schüler mit auf den Weg. Als hätte dieser geahnt, dass der heute 48-Jährige einmal mit dem »Deutschen Lehrkräftepreis« ausgezeichnet würde. 24 Herr Brill, die deutsch-englische Fußballgeschichte der Männer kennt zwei traumatische Begegnungen im Wembley-Stadion: 1966 Englands Sieg bei der Weltmeisterschaft – und dreißig Jahre später den der Deutschen im Halbfinale der EM. Die beiden Spiele haben Sie als Fremdsprachenassistent eingeholt. Wie das? Ich war unter anderem an die »Wilmington Grammar School for Boys« in Kent vermittelt worden, eine reine Jungenschule. Fußball war dort selbstverständlich ein Thema, auch im Unterricht: Da ging es um den Vergleich der Bundesliga mit der Premier League, um einzelne Spieler, aber eben auch um das Finale von 1966 mit seinem entscheidenden Tor. Konnten Sie mit Ihren Schülern die Streitfrage lösen, ob der Ball seinerzeit vor oder hinter der Torlinie war? Tatsächlich hatte ich eine Videoaufnahme organisiert, sodass wir einmal in einer Stunde die Szene rauf- und runter in Zeitlupe angesehen haben. Aber die letztgültige Antwort fanden wir nicht. Der Sieg im Halbfinale von 1996 im gleichen Stadion rief sich Ihnen dagegen unangenehm in Erinnerung. Das Spiel, das England im Elfmeterschießen nach dem Fehlschuss von Southgate verloren hatte, lag erst wenige Monate zurück. Um Szenen daraus im Unterricht verwenden zu können, wollte ich mir eine VHS-Kassette kaufen. Ich erinnere mich noch gut, dass der Kassierer extra nicht den Sicherheitscode von der Verpackung entfernt hat, damit es klingelt, wenn ich den Laden verlasse. Der darauffolgende Moment war ärgerlich für mich. Aber irgendwie konnte ich den Kassierer verstehen. Die Grafschaft Kent ist ländlich geprägt und gilt als »Garten von England«. War die Stadt Ihr Traumziel? Da ich den Norden des Landes schon kannte, hatte ich in meiner Bewerbung unter anderem den Großraum London angegeben. Denn wer wie ich aus Unna kommt, der sollte einmal in eine Metropole gehen und schauen, wie es dort zugeht, dachte ich mir. Von meiner Haustüre in Kent zum Piccadilly Circus dauerte es dann eine Stunde – was will man mehr. Wie erlebten Sie das Schulleben? Ungewohnt war für mich, dass auch Lehrer Sakko, Hemd und Krawatte tragen mussten. Mit Jeans rumlaufen – das ging überhaupt nicht. Gott sei Dank hatte ich aber ein paar Krawatten ins Gepäck gesteckt. Dass die Schule nicht um 7:45 Uhr begann, sondern erst um 9:00, fand ich angenehm, zumal es vor dem Unterricht eine »Assembly« gab. Das machte den ganzen Tagesablauf viel entspannter.
jahresbericht 2022/23 25 Fremdsprachenassistenzkräfte sollen unter anderem Botschafter ihrer Kultur sein. Wie zeigte sich das in Ihrem Unterricht? Es gab natürlich Themen, die sich am Jahreskalender orientiert haben: Wie feiern wir Weihnachten? Oder was hat es mit dem Karneval auf sich? Was mir allerdings unerwartet geholfen hat, war eine Sketchshow, die damals zur Primetime in der BBC lief – die »Harry Enfield Show«. Als ein Charakter darin trat »Jürgen the German« auf, ein deutscher Tourist, der in blauer Trainingsjacke durch London läuft, sich ständig beschwert und am Schluss immer in entschuldigender Weise auf den Zweiten Weltkrieg zu sprechen kommt und erklärt: »I feel I must apologize for the conduct of my nation in the war.« Das Klischeehafte dieser Figur war ein guter Anlass, auf Stereotype einzugehen. Das hat manche Schüler allerdings nicht davon abgehalten, mich zu fragen, was ich eigentlich während der Nazizeit gemacht hätte. Hier ausnahmsweise einmal ohne Sakko, Hemd und Krawatte: Karsten Brill in »seinem« Klassenzimmer.
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